13. 12. 2020 - Gedanken zu Europa

Hans Bäck

Europa und die weisen Alten

Ich weiß schon, jetzt ziehe ich mir wieder den Zorn aller politisch Korrekten zu. Aber ich halt es aus. Es geht mir um nichts anderes als um Europa. Ich darf von mir behaupten, ein begeisterter Europäer zu sein und die elende Nationalstaaterei und das Beharren auf den „unabdingbaren nationalen Interessen“ (egal ob diese nun österreichisch, bundesdeutsch, polnisch, italienisch, ungarisch oder sonst wie ausformuliert werden) geht mir schon längst auf die Nerven. Ich frage mich immer wieder, wo sind all die Europäer geblieben?

Wie hat das alles begonnen? Da gab es nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges und der erlebten Befreiung ein Aufatmen, ein Nachdenken und Draufkommen „So geht es nicht weiter.“ Weise alte Männer, rechts und links des Rheins dachten nach, grübelten, sprachen miteinander und handelten. Zuerst die Europäische Regelung des Kohle- und Stahlabkommens, dann die wunderbaren römischen Verträge und weiter ging es, eigentlich unaufhaltsam. Die europäische Idee hatte eine Eigendynamik erhalten, die sich niemand vorstellen konnte. Was war die treibende Kraft dahinter? Natürlich, die Wirtschaft, konkret die Marktwirtschaft, der Kapitalismus (oh wie böse!!) und das Streben der Europäer nach Einkommen, Ruhe, Sicherheit, ja und Wohlstand. Und die Ideen einiger alter weiser Männer wurden zu einer Realität, die einige Jahre zuvor noch unvorstellbar war. Doch irgendwann kam, was kommen musste, aber eigentlich so eh niemand erwartet hatte. Und daher auch nicht vorgebaut. Es kamen die keifenden, mürrischen, zögerlichen alten Frauen und betraten die Bühne Europas. Die erste von ihnen knallte ihre Handtasche auf den Tisch und keifte in die Runde „I want back my money!“ Damit begann kurz nach dem Beitritt der Briten bereits der Brexit. Und das nationale Groschenzählen in Milliardenumfang wurde das neue europäische Spiel. Und alle beteiligten sich daran – bis heute, bis zu den „sparsamen Vier“. Bevor es aber so weiterging, kam wieder einer der alten Männer und der sagte ganz einfach „es reicht“ und der Abschied von der DM und Übergang zum Euro wurde Realität. Bis die nächste Dame das Spielfeld betrat und angesichts einer überbordenden Menschenmasse, die sich auf Europa zu bewegte, fiel ihr nichts anderes ein als „Wir schaffen das.“ Schön, und so realitätsfern! Nicht vorbereitet, nichts geplant, keine Überlegungen wie und wohin mit den Menschenmassen! Leider, nichts wurde geschafft! Wie sollten diese Leute jemals integriert werden? Keine Ahnung, wir werden das schon schaffen! Dabei es war von vornherein klar, die Neuankömmlinge hatten ja nur ein paar Zielländer vor Augen. Und da zählte Ungarn, Polen, die baltischen Staaten ganz sicher nicht dazu, um nur ein paar aufzuzählen. „Wir schaffen das!“ ohne darüber nachzudenken, wie die Menschen in Süditalien, auf den griechischen Inseln, in den spanischen Enklaven, auf den Kanarischen Inseln mit diesem Ansturm zurechtkommen könnten. „Wir schaffen das“ und als Folge hat diese Dame die rechtsextremen Abgeordneten im Bundesrat, in den Landtagen von Bundesländern sitzen und alle fragen sich wie es soweit kommen konnte! Haben alle vergessen, was Bert Brecht 1955 schrieb? „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ Eine Willkommenskultur muss verwaltet werden! Und Europa hat diesbezüglich hinlänglich Erfahrung. Das beginnt schon im Frühmittelalter, als die heranstürmenden Barbaren, wie Hunnen, Awaren die Stämme der Völkerwanderung ihren Platz in Europa gefunden haben! Und das setzte sich durch all die Jahrhunderte fort, bis in das elende 20. Jahrhundert. Was hat es da an zwangsweisen Verschiebungen gegeben! Allein wenn ich an meine Heimatstadt Kapfenberg denke. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg, als hunderte, wenn nicht tausende Familien aus Süd-Ost Europa hier strandeten. Die „Volksdeutschen“ wie sie genannt wurden. In erbärmlichen Barackenlagern zusammengepfercht. Doch sie begannen mit unglaublichem Überlebenswillen ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, oft neidvoll betrachtet von den „Einheimischen.“

Wer will heute noch an einen Nationalstaat glauben und da von einer Hilfe träumen? Jedoch eine Alternative? Ein eigenartiger Milliardär wie Trump oder ein Ex-Kommunist wie Putin sollen als Beschützer der internationalen Benachteiligten wirken? Wirklich? Nach zwei Weltkriegen, der Zerstörung Jugoslawiens, der Amputation der Ukraine, den Gewaltszenen in Weißrussland kann man noch an einen Nationalstaat als helfende Institution glauben? Aber, was kann die Europäische Union für uns machen? So hilflos wie sie agiert und sich gibt? Wie ist es soweit gekommen? Ich erinnere nochmals daran, wie der Abstieg begonnen hatte: Zwei Frauen, die eine keifend, die andere beschwichtigend und Europa steht wieder am Anfang und weit und breit keine weisen alten Männer zu sehen, welche die Agenda in die Hand nehmen könnten! Lauter Jungspunde, lächelnde Damen und unverbindliche Managertypen. Um Europa könnte einem angst und bange werden. Doch ich persönlich sehe eine Hoffnung darin, dass genau jene wieder die Initiative ergreifen, denen es um das Geld geht. Um den Markt, um die Wirtschaft. Nicht die Politiker, nicht die Philosophen, nicht die Schriftsteller, nicht die Journalisten, werden Europa wieder aus dem Schlamassel ziehen. Sondern genau jene, die viel gescholten und verurteilt, auf das Geldbörsel (oder Aktienpaket) schauend, die Sonntagsredner beiseite schieben und Europa in die Hand nehmen werden. Mag das nun den vielen Spät-, Romantik- und Hoffnungsmarxisten gefallen oder nicht, es wird so werden. Und wenn wieder vorausschauend gehandelt wird, dann wird das auch so umgesetzt, dass es neuerlich zu keinem hemmungslosen Kapitalismus kommt, sondern einen der wie vor 70 Jahren, gezähmt und geregelt, die Idee Europa voranbringt. Vielleicht doch wieder einige weise alte Männer und wenn in Zusammenarbeit mit einigen weisen alten Frauen, soll’s mir nur recht sein!




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