13. 02. 2011 - Winternachlese

Nachlese für einen Winter, der jetzt im Feber schon vorbei zu sein scheint.

 

Wieder einmal einen wichtigen Hinweis: Das sind keine offiziellen Mitteilungen des Europa Literaturkreis Kapfenberg, sondern ausschließlich die Privatansichten von Hans Bäck!

Der Europaliteraturkreis Kapfenberg stellt mir seine Homepage bzw. den Literaturblog zur Verfügung, wofür ich mich recht herzlich bedanke!

Irgendwie juckt es mich, und wenn es juckt, dann soll man kratzen. Auch wenn es an Denkmälern ist.

 

Da waren in den letzten Jännertagen die österreichischen Zeitungen voll mit Erinnerungen anlässlich des 100. Geburtstages von Bruno Kreisky. Bei allem Respekt und aller Ehrerbietung und Anerkennung, allein die von mir geschätzte „Presse“ verwendete im allgemeinen Teil der Ausgabe sieben Großformatseiten und im „Spectrum“ (das ist die Wochenendbeilage mit Literatur) wurden dem Herrn Menasse nochmals fast zwei Seiten eingeräumt, die dieser auch ausnutzte, um auch seinen Senf zum Gedenken abzugeben.

 

Und dann kam der Feber und mit ihm das Gedenken an den 80. Geburtstag von Thomas Bernhard – und siehe da: ich bin voll des Lobes über die österreichischen Zeitungen. Damit meine ich nicht die Käseblätter, die sich einen Bundeskanzler und eine Reihe von Ministern als Erfüllungsgehilfen halten. Ich meine jene Blätter, die es wirklich lohnt zu lesen. Also, das Lob für jene Zeitungen, die sich in sorgfältig aufbereiteten Rückblicken, Widmungen, Erinnerungen usw. dem großen Dichter Thomas Bernhard widmeten. Allein von der Quantität der Seiten standen die beiden Erinnerungsgeschehnisse einander nichts nach. Und das ist doch schon etwas, was in der sooft geschmähten Pressekultur zu bemerken und wert ist, festgehalten zu werden. Und es waren nicht nur Literaten, die über Thomas Bernhard schrieben, was vielleicht auch ganz gut war, denn wer ist denn schon immer vor kleineren oder größeren Eifersüchteleien gefeit. Ein Schriftsteller schon gar nicht! Ich wiederhole nur etwas, dass ich bereits im Herbst einmal schrieb: „Österreich kann stolz sein, einen derartigen Dichter gehabt zu haben!“ Eigentlich wollte ich aus verschiedenen Zeitungen für diese Nachlese zitieren und habe mir ganze Packungen an Journalen aufbewahrt, doch lasse ich das bleiben, und lade meine Leser ein, geht selber auf die Reise und stöbert, was jetzt im Feber alles zu Thomas Bernhard geschrieben wurde, ihr werdet großartige Entdeckungen machen. Dass nun, 22 Jahre nach seinem Tod, auch jene in die Lobeshymnen einstimmten, die seinerzeit wegen beispielsweise der Uraufführung des „Heldenplatz“ den Untergang des Abendlandes heraufdämmern sahen, ist eine logische österreichische Entwicklung (würde Th. B. schreiben). Ich persönlich freue mich, dass ich das Schaffen dieses Großen als interessierter Leser und Zeitgenosse miterleben durfte und viele seiner Bücher in meinem Bücherschrank und fast alle gelesen habe. Wie schal waren und sind oft Texte von heute hochgejubelten Schriftstellern gegen den Titanen Thomas Bernhard.

Es geht ja hier mit diesen Notizen, wie schon im Titel angesprochen, um eine Nachlese, also werde ich nicht allzu viel an Vorschau geben. Nur soviel: Das Reibeisen Nr. 28 ist bereits in Produktion, die ersten Beiträge sind auch bereits im Layout durch und beim Korrekturlesen, dem rechtzeitigen Erscheinen am 15. April in Kapfenberg und am 28. April in Wien steht daher auch nichts mehr im Wege. Die im Reibeisen vertretenen Autoren erhalten in den nächsten Tagen die Verständigung und Einladung zu den Präsentationen direkt vom Vorsitzenden Sepp Graßmugg.

Eine Bitte an alle Autoren, die auch für das Reibeisen Nr. 29 einsenden wollen: Haltet euch an die Vorgaben bezüglich des festgelegten Umfanges der Beiträge! Wir werden diesmal alles, was darüber hinausgeht, unbarmherzig zurücksenden und wenn dadurch die Einsendefrist überschritten wird, hat der Autor eben Pech gehabt. Wir nehmen beispielsweise nicht mehr als 10 Gedichte eines Autors (einer Autorin) an! Wir werden auch keine Auswahl treffen oder das der Jury überlassen, derartige Einsendungen gehen wirklich zurück an den Einsender. In unserer Homepage sind die genauen Einsendevorgaben enthalten, bitte haltet Euch daran!

Doch nun zu den Nachlesen und Nachgelesenem.

Man kann es als Österreicher kaum glauben, aber die Zeugnisse mehren sich und daher ist es auch nicht mehr zu leugnen, höchstens von einigen, die damals dabei waren, zu verdrängen. Worum geht es?

Wieder einmal um die deutsch-deutsche Geschichte bis 1989 (und doch auch ein wenig noch darüber hinaus).

Zuerst sage ich Danke an Dr. Jörg Bilke in Coburg, der mich dankenswerter Weise mit wichtigen Informationen versorgte (und, hoffe ich, auch weiterhin versorgen wird). Für einen Bewohner der Insel der Seligen tun sich da Abgründe auf. Abgründe, die so unvorstellbar sind, so unglaublich, dass sie schon fast in die Kategorie der Absurden Literatur gehören müssten, oder wie der legendäre „Watschenmann“ – das Sonntagmorgenkabarett des Österr. Rundfunks vor vielen Jahren sagte: „Solchene Sachen lassen sich nicht erfinden, nicht einmal von unserem Etablissement:“

Ein Beispiel:

Anna Seghers mit bürgerlichem Namen Nelly Radvanyi (1900 – 1983), seit 1928 überzeugte Kommunistin wurde kurzzeitig von der Gestapo verhaftet und es gelang ihr die Flucht in die Schweiz und dann weiter nach Paris. Von dort konnte sie mit der Familie 1941 nach Mexiko auswandern (dort erschien auch 1942 ihr berühmtestes Buch „Das siebte Kreuz“), sie kehrte 1947 nach Deutschland zurück, wurde SED Mitglied und übersiedelte 1950 in die DDR. Zahlreiche Ehrungen der DDR folgten und nun wird es für mich abenteuerlich: Im Wikipedia wird verschämt darauf hingewiesen, dass sie bei diversen Maßregelungen von DDR Schriftstellern meist geschwiegen hatte, lediglich beim Ausschluss von Heiner Müller aus dem DDR-Schriftstellerverband stimmte sie dagegen. Was war aber tatsächlich los? Da gab es den Arbeiteraufstand im Juni 1953, den die Autorin später in einem Brief als „zwei, drei verrückte Tage“ abtat, die wie „eine Divergenz zu den Friedenshoffnungen der Menschheit stünden“ und sie übernahm die parteioffizielle Bezeichnung des „konterrevolutionären Putschversuches“, den Ungarnaufstand 1956 bezeichnete sie als „von Westagenten inszeniert“ und der Mauerbau „wir haben einen Krieg verhindert und werden ihn weiter verhindern.“ Sie hat sich aber auch immer wieder für Schriftstellerinnen und Schriftsteller eingesetzt, die in „Ungnade“ gefallen, inhaftiert oder verbannt waren. Wenn sie Menschen in der Not persönlich nicht helfen konnte, leitete sie die Angelegenheit an die höheren Stellen weiter und erreichte auch immer wieder Erleichterungen.

Obwohl sie sich immer und überall zu ihrem Staat, zur DDR und dessen Ideologie bekannte, wurde sie seit dem Ungarnaufstand von der Stasi überwacht. Und die Zuträger, Informanten waren nicht irgendwer sondern respektable Personen der DDR Kulturszene: Klaus Gysi, Leiter des DDR-Aufbauverlages und späterer DDR-Kulturminister, die Schriftstellerkollegen Hermann Kant und Günter Görlich, die Frau des Lyrikers Paul Wien (der selber für Erich Mielke arbeitete) und Gerhard Henninger der Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes!

Was für eine Welt!

Und nun noch in eine ganz andere Welt:

Und immer wieder Czernowitz!

In der ehemaligen k. u. k. Stadt der Bücher (Rose Ausländer) gab es ein Lyrikfestival: www.meridiancz.com- angelehnt an den Namen Meridian, den Paul Celan seiner Stadt einstmals gab.

Lyriker aus der Ukraine, Deutschland, Österreich und der Schweiz lasen aus ihren Werken und weihten am 3. September eine Wiener Straße ein.

Ins Leben gerufen von Igor Pomerantsev, der selber seinerzeit in Czernowitz zur Schule ging und studierte, auch seine ersten Werke dort schrieb, bevor er vom sowjetischen Geheimdienst 1978 zur Emigration „freigegeben“ wurde: Dieses Lyrikfestival sollte auch das verschüttete kulturelle und historische Vermächtnis der Stadt wieder beleben. Es ist ja doch so gewesen, dass alle die großen Dichter dieser Stadt in der Zeit des Sowjetregimes nicht vorhanden waren. Pomerantsev schreibt selbst, dass sie damals wohl Thomas Mann, Tolstoi und Dostojewski und auch Faukner lasen, aber von einem Paul Celan nichts hörten und zu Gesicht bekamen.

Schoppenhauer und Kafka waren in der SU verbotene Schriftsteller. Und alle postkommunistischen Länder leiden unter einem schwerwiegenden Problem: Ähnlich, wie in D und Ö nach 1945 gibt es eine Diskontinuität des historischen und literarischen Gedächtnisses, einen Bruch in der kollektiven Erinnerung. Überall versuchten die Machthaber die Vergangenheit auszuradieren.

Und diese Erinnerung wieder auszugraben, war ist das eigentliche Ziel des Festivals.

Anderseits haben auch die Mythen der Stadt um die literarische Vergangenheit, um Paul Celan, Rose Ausländer und die vielen anderen, diese Stadt zu einem Denkmal erstarren lassen und lähmten ihrer Weiterentwicklung. Zwar hatte die Stadt auch unter der SU weitergelebt, Czernowitz hat den Übergang von der deutschen Sprache zur ukrainischen, von der Herrschaft der Nazis zum Kommunismus überlebt und trotzdem nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt.

Diese Details entnahm ich einem Interview Igor Pomerantsevs mit den Salzburger Nachrichten.

Ja, etwas will ich nicht verschweigen: Ich habe auf eine meiner vergangenen Nachlesen ein „paar Watschen“ bezogen. Im Blog sind sie als Kommentar nachzulesen. Christine Teichmann hat sich über meine Pauschalverdächtigung und generelle Verniedlichung der Gutmenschen geärgert und meinte am 15. November 2010:

„Da muss ich doch ein Wörtchen für die Gutmenschen in die Waagschale werfen. Erstens ist es ein weiter Weg von einer humanistischen oder altruistischen Einstellung zu einer Ideologie, die ihre Kinder frisst. Genau genommen ist die prinzipielle Glaubensbotschaft des Gutmenschen ja diese, Toleranz zu üben im Sinne von: ich teile zwar deine Meinung nicht, würde aber mein Leben riskieren, um sicher zu stellen, dass du sie äußern darfst. Das reicht bekanntermaßen sogar bis zur Toleranz für die Untoleranten.
Zweitens sind mir die Gutmenschen beim A... lieber als die Realos oder wie immer man die „Gegenpartei“ nennen mag beim Gesicht. Schließlich sind sie die Letzten in unserer – sich spätestens seit Schwarz/Blau zum Rechten wendenden – Gesellschaft, die einen gesellschaftlichen Konsens für tragfähig halten, der nicht Menschenrechte mit Staatsbürgerrechten verwechselt. Also lieber gut als Blut(rein)oder sonst so ein Unsinn.“

Natürlich hat Christine Recht, wie immer wenn jemand Recht hat, gibt es auch einen der im Unrecht ist. Also habe ich versucht, mich zu rechtfertigen und mit Christine dann einen längeren Austausch unserer Gedanken per E-Mail gehabt.

Mir war es notwendig darauf hinzuweisen,  wieso ich gerade diese Gruppe von Menschen gar so sehr in die falsche Luftröhre bekam. Da ist einerseits einmal die mir wichtige Feststellung, dass nicht alles was nicht Links wäre automatisch als Rechts einzustufen sei. Dagegen habe ich persönlich was: Ich wehre mich jedenfalls dagegen, mit der braun-blauen Brut in einen Topf geworfen zu werden, nur deswegen, weil ich aus verschiedenen Gründen einfach nicht Links sein kann und daher als überzeugter und begeisterter liberal-konservativer Bürger auch eine dritte Variante der politischen Orientierung sucht. Das ist das Eine (und Grundsätzliche) dazu. Und dann gibt es ein weiteres Geschehen, dass mich von den genannten Gutmenschen entfernt hatte: Das waren die Demos an den Donnerstagen nach der Angelobung der Schwarz-Blauen Regierung in Österreich. Ich würde darum kämpfen und demonstrieren gehen, dass auch diese Demos weiterhin erlaubt sind, was ich jedoch in keiner Weise akzeptieren konnte, dass die ersten drei Tage von den Demonstranten ungehindert skandiert werden konnte: „Widerstand, Widerstand, Haider - Schüssel an die Wand!“ Das war mir zuviel, Aufforderung zu Lynchjustiz oder meinetwegen Standrecht für eine in einer demokratischen Wahl zustande gekommenen Mehrheitsregierung, das ist und war nicht nur degoutant, abstoßend, geschmacklos, sondern auch unverzeihlich. Um so mehr, als zwar diese Rufe nach dem dritten Tag aufhörten, aber es gab in der Folge von keinem der Organisatoren eine Entschuldigung oder zumindest eine Distanzierung.

Gut, lassen wir das, es geht ja hier bei diesen Nachlesen ja hauptsächlich um die Literatur und daher hänge ich noch etwas Literarisches an:

Im heurigen Jahr jährt es sich zum 50. Mal, dass Ivo Andric den Nobelpreis für Literatur erhielt. Aus diesem Anlass .gibt es in Kapfenberg eine Ausstellung, die Dank der Beziehungen unseres Helmut Türk von der „accademia europeista“ in Gorizia gestaltet wurde.

Und das ist für mich der Anlass, wieder einmal auf diesen großartigen Dichter hinzuweisen. Wie ich schon früher schrieb, es ist selbstverständlich reizvoll die Texte Peter Handkes über seine Besuche in Serbien und Bosnien zu lesen und zu versuchen, sich daraus ein Bild dieses zerrissenen Landes zu machen. Wer jedoch den Balkan verstehen will, seine Probleme, seine Menschen, die Kultur und die Entwicklung, der sollte Andric lesen.

Ja, ein Buch möchte ich noch, nein, muss ich, erwähnen. Von Arno Geiger liegt „Der alte König in seinem Exil“ vor. Was ist wichtig, was macht unser Leben lebenswert? Arno Geiger erzählt von seinem Vater, aber auch von sich selbst. Dem Einen kommt der Erinnerung abhanden, der Autor bekommt sie zurück. Und es entsteht ein Buch über den Vater, dem seine Orientierung sich langsam auflöst und gleichzeitig, wie der Sohn, der Autor zurückfindet und seinen Vater neu kennen lernt. Unglaublich, mit welcher Liebe Geiger hier sich mit der Demenz seines Vaters sich auseinander setzt und großartige Literatur vorlegt. Eine Leseabenteuer!

Ein weiteres Gedenken gab es noch in diesen Februartagen. Als Verehrer von Rilke kann ich nicht umhin, auf den 150. Geburtstag von Lou Andreas-Salomè hinzuweisen. „Was wir oft die Liebe zu einem Menschen nennen, ist nichts als seine Art, uns produktiv im höchsten Sinne zu machen,“ schrieb sie in ihrem Roman „Im Kampf um Gott.“ Und was hat sie bei ihren Verehrern, Liebhabern, Vertrauten alles an Produktivität angeregt! Allein mit dem um 14 Jahre jüngeren Rilke entwickelte sich eine Beziehung auch im künstlerischen Ausdrucksvermögen, die beide auch nach ihrer Trennung noch lange Jahre aneinander band. Eine Frau, die auch durch ihre Lebensweise, außerhalb ihrer Zeit lebte und der Nietzsche in einem Liebesbrief schrieb: „Liebe Lou, ..., werden Sie die, die Sie sind!“

Dann, liebe Freunde bleibt mir nur noch der Hinweis (in eigener Sache): Vom 17. – 20. März 2011 findet in Leipzig die Buchmesse statt. Mein Buch „Lautsprecher in den Bäumen“ (Verlag Kulturmaschinen, Berlin www.kulturmaschinen.com) wird dort auch präsentiert und ich werde auch zwei Lesungen in Leipzig halten. Da möchte ich natürlich meinen „Fanclub“ davon in Kenntnis setzen und bitte Euch um zahlreiches Erscheinen! „Unser“ Stand ist in der Halle 5 Stand A 219. Ich bin während der gesamten Messezeit in Leipzig und werde selbstverständlich auch am FDA Stand auftauchen und dort anwesend sein. Es würde mich freuen, wenn ich recht viele meiner Freunde in Leipzig treffen könnte!

Die genauen Lesetermine sind ab ca. 17. Feber auf der Homepage der Leipziger Buchmesse, bzw. auf „Leipzig liest“ zu finden. Aber selbstverständlich werde ich noch rechtzeitig alle meine Literaturfreunde in Deutschland kurz vor Messebeginn noch einmal persönlich einladen! 




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