02. 04. 2011 - Bäcks Nachlese

Schon wieder eine Nachlese.

Aber es tat und tut sich ja einiges.

 

Zuerst möchte ich auf Bücher hinweisen. Immerhin, ich war in Leipzig bei der Buchmesse und habe auf mehr als 2150 Ständen die Neuerscheinungen des heurigen Frühjahrs bestaunen können. Eine einzige Bemerkung dazu: gigantisch!

 

Vier Hallen im Ausmaß der neuen Grazer Messehalle (Stadthalle) voll mit Büchern.

Kinderbücher, Kochbücher, Reisebücher und vor allem jene Verlage, welche die Autoren schamlos ausnützen: „Wir suchen Manuskripte“ immer und überall waren diese Verlage vertreten und umlagert von hoffnungsvollen „Nachwuchsautoren“ – meist jenseits der 60!

Aber auch die vielen kleine Verlage, die sich Nischen ausgesucht haben  und dort durchaus anspruchsvolle Bücher herausbringen. Viele Österreichische Verlage, es ist immer eine Freude, im germanischen Meer auch die eine oder andere austriakische Insel zu entdecken. Und die haben durchaus beachtete Stände! Sogar unsere Freunde von den „Lichtungen“ waren mit einem eigenen Stand vertreten und Markus Jaroschka hielt wacker die Stellung!

Weitere Zahlen gefällig? Ach, schaut nach auf der Homepage der Leipziger Buchmesse oder noch besser auf Leipzig liest.

Natürlich, auch mein Buch erschien und der Verlag Kulturmaschinen in Berlin hatte einen viel beachteten Stand, mein Buch eine prominente Stelle darin und ich konnte bei zwei Lesungen das Publikum auf mein Buch neugierig machen. Ob es gelungen ist? Nun das werden die Verkaufszahlen zeigen. Inzwischen ist das Buch „Lautsprecher in den Bäumen“

ISBN 978-940274-31-1 ganz normal über den Buchhandel oder direkt beim Verlag (www.kuluturmaschinen.de) zu beziehen – was natürlich und in aller geziemenden Bescheidenheit sehr empfohlen wird – danke im Voraus!

 

Etwas – ganz und gar unliterarisches – lässt mich nicht in Ruhe. Dazu muss ich mich äußern. Wir alle, und nicht nur die Wähler in den div. Deutschen Bundesländern – stehen unter dem Eindruck der Katastrophe in Japan. Es ist heute – Ende März schreibe ich diesen Teil der Nachlese – keinesfalls abzusehen, welche Weiterungen das noch nehmen wird. Und es erinnert mich daran, wie vor mehr als 30 Jahren,  1978 – die österreichische Bevölkerung mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,47% gegen die Inbetriebnahme des fertig gestellten KKW stimmte. Ich war einer jener wenigen (in Kapfenberg), die damals schon mit der „gelben Sonne“ dem Aufkleber „Atomkraft, nein danke!“ herumlief, sogar in der damals noch vorhandenen verstaatlichten Industrie – gegen ausdrücklichen Wunsch und Weisung des Managements – Stimmung für das Volksbegehren und damit gegen die Inbetriebnahme machte. War es der Wunsch, dem damals noch allmächtigen Kaiser Kreisky „eine zu verpassen“ – wohl auch ein wenig, aber es war die Überzeugung, so etwas hat im Herzen Europas, mitten im dicht bevölkerten Gebiet und ohne endgültige Klärung der Endlagerung, einfach keine Existenzberechtigung. Und das wurde wenige Jahre später durch die Ereignisse in Three Miles Island (1979), Sellafield (1992) und natürlich Tschernobyl (1986) dramatisch bestätigt. Also, ich bin einer jener die es nun nicht notwendig haben, auf einen fahrenden Zug der Antiatomdemonstranten aufzuspringen, ich war von jeher entschieden dagegen und kann es mir erlauben ohne erhobenen Zeigefinger auf die Problematik hinzuweisen. „Wohltätig ist des Feuers Macht, wenn es der Mensch bezähmt, bewacht“ haben wir einstens auswendig lernen müssen/dürfen. Und hier ist ein Feuer, das nicht beherrschbar ist. Und wie sich die Argumente gleichen: Im Jahre 1978 prophezeiten die österreichischen Stromversorger, dass ohne Zwentendorf in Hinkunft es jede Woche zu einem Tag mit Stromabschaltungen kommen würde, als ich von der Leipziger Buchmesse mit der Bahn (höchst komfortabel und bequem) heimreiste, las ich in einer der mit unmöglichen Formaten gestalteten deutschen Zeitungen, dass der Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland den Betrieb der Deutschen Bahn ernsthaft gefährden würde, weil so und so viele Prozente des Bahnstroms aus AKW’s stammen. Die Argumente werden durch Wiederholungen nicht besser, das wissen wir auch aus vielen anderen Beispielen!

So weit, so schlecht nicht nur für die betroffenen Japaner, sondern für die Welt. So lange es noch welche gibt, die den Ausstieg aus der Atomkraft für unverzichtbar halten! Und einen kleinen literarischen Sidestep möchte ich doch auch anbringen; Die Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2007 dachte in ihrem vor sehr langer Zeit (1974) erschienenem Roman „Die Memoiren einer Überlebenden“ sich eine Zeit zurecht, wie es nach einer Atomkatastrophe aussehen und „zugehen“ könnte. Beklemmend, dieses Buch heute nachzulesen – auch wenn viele meinen und meinten, gerade dieses Buch sei einer Nobelpreisträgerin unwürdig. Ich persönlich finde es in seiner beklemmenden Schilderung des grauen und grauenhaften Alltags „danach“ für eine Vision, die verdammt viele Ähnlichkeiten mit der Realität bekommen hat.

 

Unpassend, aber zwangsläufig zu erwarten: Die Peinlichkeiten der diversen österreichischen (und nicht nur der) Politiker aller Farben: Plötzlich findet es jeder Gemeinderat für notwendig eine einstimmig beschlossene Resolution zu verabschieden, in welcher der bedingungslose und sofortige Ausstieg aus der Atomenergie gefordert wird. Nehmen da wieder einmal die von mir schon mehrfach kritisierten „Gutmenschen“ das Heft in die Hand? Unbestritten – siehe Absatz oben – ich bin gegen die Nutzung der Atomkraft, aber es wird lächerlich, peinlich, degoutant wenn vom Wiener Gemeinderat abwärts plötzlich die erwähnten Sondersitzungen passieren und die genannten Resolutionen verfasst werden. Doppelt lächerlich, peinlich und degoutant, wenn in den Stromabrechungen der Mix der bezogenen Strommengen ausgewiesen wird und dabei der Atomstrom noch immer einen erheblichen Anteil ausmacht: Strom unbekannter Herkunft (UCTE Mix: 33,14% davon aus nuklearer Energie: 28,88%). Warum wohl auch? Weil am heimischen Stromversorger auch die deutschen und französischen Stromriesen beteiligt sind. Und die werden sicher vom großen Zittern erfasst werden, wenn neben der Stadt Wien dann vielleicht auch der Gemeinderat von Hinterhaxenhausen, Unterbrennnesselgstätten usw. vehement und mit aller Entschiedenheit den Ausstieg aus der Kernenergie fordert.

Peinlichkeiten, die kaum mehr zu überbieten sind!

 

Ein zweites, ebenfalls „unliterarisches“ Thema beschäftigt nicht nur mich. Das sind die Ereignisse in Nordafrika. Was gibt es da auch für gescheite Analysen und Kommentare in allen Medien rund um den Globus. Vergleiche mit der „Wende“ 1989/90 werden angestellt, und was weiß ich noch alles. Gründe gesucht und klug aufbereitet und dem staunenden Mitteleuropäer vorgelegt. Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren ein überaus interessantes Buch in die Hände bekam, 2003 erschien von Gunnar Heinsohn eine Studie mit dem Titel „Söhne und Weltmacht“ der Terror im Aufstieg und Fall der Nationen (2003 Orell Füssli). Dabei schildert der Autor in bestechender Beweisführung, wie es immer wieder zu Terrorakten, Überfällen, Kriegen kommt, wenn die Zahl der „nicht erbenden Söhne“ eine kritische Grenze überschritten hatte. Und ich meine genau diese Situation haben wir jetzt in Nordafrika: Eine große Anzahl bestausgebildeter junger Menschen, die durch die herrschenden Systeme einfach keine Chance auf Entwicklung und menschenwürdiges Leben hatten. Und durch die modernen Kommunikationsmittel einfach eine Lösung gesehen haben, sich zusammen zu schließen und Änderungen herbei zuführen. Auch dazu noch einen Hinweis: Von Richard Picker ist ein Buch erschienen, das sich ebenfalls mit diesen Phänomenen beschäftigt: Richard Picker „Zusammenrottung“  Gefahren aus Dämonie, Ideologie und Religion (2002 Va Bene). Beide Bücher empfehle ich nicht nur jenen, die mehr verstehen wollen, als die allseitsklugen Kommentatoren von sich geben, sondern allen Lesern, denen das Zusammenleben auf unserem Leben eine gewisse Bedeutung darstellt.

 

Von Angela Krauß erhielt ich auf der Buchmesse ihr neuestes Buch „Im schönsten Fall“ (Suhrkamp). Wenn ich ein wenig mit Stolz behaupten darf: Angela hat eigentlich in Kapfenberg ihre internationale Karriere als Schriftstellerin begonnen. Sie war 1988 Bachmannpreisträgerin und wurde als solche auch natürlich nach Kapfenberg zu Lesungen eingeladen, später kam sie als Stadtschreiberin nach Graz. Wir hatten lange Verbindung miteinander, aber irgendwann riss auch das ab. Es war für mich schon eine Verpflichtung eine der Lesungen von Angela in Leipzig zu besuchen. Und da stand sie vor der „Autorenarena der Leipziger Volkszeitung“ und besprach mit ihrem Moderator den in ca. 10 Minuten folgenden Auftritt. Ich ging vorbei, räusperte mich und Angela drehte sich um, ließ ihren Moderator stehen und fiel mir um den Hals.  Doch nun zu ihrem Buch. Es ist ein wunderschönes Buch, eine zärtlich/zarte Liebesgeschichte, ganz anders als ihre ersten Texte – wer erinnert sich noch an ihr erstes Buch, das nach dem Bachmannpreis erschien? „Das Vergnügen“, dann „Die Überfliegerin“ und „Weggeküsst“ Angela stieg dann in den so genannten Literaturbetrieb ein, wurde Gastdozentin bei den Frankfurter Poetikvorlesungen, heimste Preise ein usw. Alle Jahre ein Buch, wir kennen das ja von anderen Autoren! Soll ich nun meiner alten Freundschaft nachgeben oder soll ich ein wenig kritisch sein? Ich versuche das Letztere. Was gefällt mir nun nicht am „Schönsten Fall?“  Es ist die Sprache. Eine wunderschöne, höchst artifizielle Sprache, die schon sehr nahe ans „gekünstelte“ herankommt und da habe ich so meine Einwände. Es ist in jedem Fall ein Buch, das man lesen sollte, aber man darf sich nicht blenden oder täuschen lassen.

Wie schrieb einstens Gottfried Benn? „Den ersten Satz geben die Götter, der Rest ist Arbeit“ Ich habe den Eindruck, das Buch ist vom ersten bis zum letzten Satz Arbeit. Hervorragende Arbeit, unbestritten. Der Hauch der Götter? Dabei gibt es faszinierende und fesselnde Passagen, wenn die Erzählerin davon träumt wie schön es ist, dass sie ihren Karel „im vergangenen Jahr 13 mal getroffen hat, den 13 ist eine jener Zahlen, die nicht teilbar sind.“ Dann ist das schon ein gelungenes Stück Literatur verquickt mit einem gerüttelt Maß an Mathematik. Das sind jene Stellen, die mich für das Buch begeistert hatten und deretwegen ich es allen Lesern dieser Nachlese empfehle. Es ist ein Leseabenteuer, und Abenteuer sind immer wert, dass man sie angeht.

 

Apropos Bachmannpreisträger! Da war es in den 80ern und beginnenden 90er des vergangenen Jahrhunderts noch möglich, mit geringster Organisation und geringen finanziellen Aufwand (für den Literaturkreis) die jeweiligen Bachmannpreisträger nach Kapfenberg einzuladen. Da konnten wir noch Banken und andere Wirtschaftsbetriebe anschnorren und damit die Kosten decken. Wobei ich auch mit Stolz behaupten darf, dass wir damals schon Honorare zahlten, die auch heute noch angemessen erscheinen. Bei den heutigen Budgetnöten erscheint es mir illusorisch, eine derartige Aktion überhaupt nur anzudenken – außerdem bin ich mir nicht in jedem Jahr sicher, dass es sich lohnen würde einzelne Preisträger überhaupt einzuladen. Aber das ist schon wieder eine andere Nachlese.

 

Und in diesem Zusammenhang stelle ich wieder einmal die Frage: Wer bestimmt, welche „Aktie“ Schriftsteller gerade an Wert gewinnt bzw. verliert? Ob es sich um die verstorbenen oder lebenden Dichter handelt, wer beobachtet den „Aktienmarkt“ der dichterischen Reputation? Wird der von Großinvestoren argwöhnisch beobachtet, von Zockern aufgemischt, durchsetzt mit Spielernaturen?  Da geht es doch um einen Markt der „Guten Namen“ und der ist anscheinend noch immer wichtig auch für die Gegenwart. Diese Guten Namen bestimmen doch, welche Werke, Richtungen, Stile, Themen heute im Literaturbetrieb „ankommen.“ Wenn beispielsweise die Aktie Goethe hoch im Kurs wäre, dann kann sich der Eichendorff brausen gehen, wenn der Clemens Setz einen Preis bekommt, dann werden die genauen Beobachter des Marktes in der Folge schreiben wie Setz. Wenn es dann im kommenden Jahr wieder einmal der Michael Köhlmeier ist, dann werden die Epigonen des Köhlmeier auf den Plan treten. Zu verfolgen ist dieser Trend seit vielen Jahren beim Bachmannpreis in Klagenfurt. Da wurde so geschrieben, dass es der Jury möglicherweise passt, bzw. gab es in der Vergangenheit immer wieder Texte, die genau auf den Tag zu geschrieben wurden und auch prompt einen Preis bekamen. Das war auch im Jahre 2007/2008 so, als plötzlich von den Großschriftstellern Bücher mit mindestens 800 Seiten auf den Markt geworfen wurden. Und heute, ich komme zurück auf das Buch von Angela Krauß haben wir Bücherln um die 100 Seiten. Und wenn heuer der „Alte König in seinem Exil“ von Arno Geiger seit Wochen die österr. Bestsellerlisten anführt, können wir Wetten drauf abschließen, dass es noch heuer eine Reihe von Büchern (auch namhafter Autoren) geben wird, die sich mit Vätern und Angehörigen und mit der Demenz beschäftigen werden.

 

  1. April 2011 - an dem schrieb ich die letzten Zeilen dieser Nachlese, hörte nebenbei im Radio Ö1 ein Gespräch mit Peter Rosei und freue mich des Frühlings, meines Lebens und der Fülle an Musik und guter Literatur, die es trotz allem gibt

 

Wenn es nicht zu viele Abbestellungen dieser Nachlesen gibt, komme ich nach Abschluss der Reibeisenpräsentationen (und der meines Buches) Mitte Mai wieder.

 

Bis dahin

 

Hans Bäck

 




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