Aufruhr

von Michael Scharang
Rezension von Hans Bäck

Roman, Suhrkamp

ISBN 978-3-518-42928-0

€ 24,70

 

Na endlich, ein neues Buch von Michael Scharang! Das muss man ihm schon lassen, von einem Buch zum anderen lässt er sich sehr viel Zeit und das ist auch gut so: Denn Scharang ist nicht einer jener, die pausenlos, im dreiviertel Jahresrhythmus ein Buch nach dem anderen „herausjagen“.

Daher sind seine Bücher immer wieder – zumindest von mir – erwartet und, wenn sie dann da sind, neugierig angenommen.

 

Dr. Maximilian Spatz - Ein Psychiater, geboren in Wien, wirkend in New York wird Zeuge eines unglaublichen Mordes, und verwickelt die Mordkommission in ein Gespräch mit der Folge, dass er nie mehr näher befragt oder einvernommen wird.

Verwicklungen bahnen sich an, doch da kommt unverhofft die Freigabe der Universitätsklinik an der Dr. Spatz tätig ist für ein Sabbatical. Er bricht nach Wien auf, kommt zurecht, um einer jungen Frau beizustehen, die als gewerkschaftsunabhängige Betriebsrätin in einen Arbeitskonflikt verwickelt ist.

Scharang wäre nicht DER Scharang, den wir kennen (und schätzen) wenn er nicht dabei seine bewährten, Altlinken Gedanken und Ideen einbringen würde. Doch halt, Vorsicht, das ist ein ganz anderer Scharang, zumindest bis etwa Seite 200. Ich gebe gerne zu, ich habe selten so gelacht in der letzten Zeit bei den Neuerscheinungen die gelesen habe. Seitenweise dachte ich, ich lese einen Schelmenroman. Mit welch köstlichem Humor der Autor die Rückkehr des Dr. Spatz in seine Heimatstadt schildert, die Begegnungen, den Aufbau eines „Netzwerkes“, alles um seiner frisch kennengelernten Anna in ihrem Arbeitskampf zu helfen. Seine Partner und Mitstreiter, die Schilderungen, wie er jene „aufsammelte“ ja, wirklich, ein ganz neuer Scharang. Einfach köstlich und dabei nicht einmal versteckt verpackt die Gesellschaftskritik, die man bei diesem Autor ja wohl erwarten darf. Und urplötzlich kippt der Roman ins Unvorstellbare. Das Netzwerk, die „Gruppen“ die sich aufmachen, die eine Bewegung in Gang setzen – nun heutzutage sollte man mit dem Begriff Bewegung sparsamer umgehen, ich bleibe daher bei den Gruppen, die etwas in Gang setzen. Eine Betriebsversammlung im Kaufhaus, in dem Anna bisher als Betriebsrätin auf verlorenen Posten stand, ändert alles. Fernsehen wird aufmerksam, die Menschen vor den Schaufenstern werden aktiv miteingebaut. Die skurrilen Mitstreiter von Dr. Spatz und Montefiori, und Philipp Zappel, sowie Anna, sie entfachen ein Feuerwerk – ja sogar ein tatsächliches, am Dachgeschoß der „Krone“ doch das kommt erst viel später. Alles scheint sich so zuzuspitzen, wie geplant und gewollt. Die österreichische Regierung geht vorerst einmal für drei Monate in die Slowakei ins Exil. Das Interregnum der arbeitenden Klasse bricht aus, das befürchtete, erwartete, herbeigeschriebene Chaos bleibt aus – so dass alle Protagonisten endlich aufbrechen können, zurück nach New York, wo Freddy, der Wirt jener Kneipe in welcher der eingangs geschilderte Mord geschah, alles vorbereitet hatte, um die Rückkehrer aufzunehmen: Dr. Spatz mit Anna, Montfiori mit Zerlina, der Ex-Frau von Dr. Spatz, Philipp und dessen Freundin, nur David Intrator blieb in Wien bei Frau Ehrenreich, und man sah wie „Frau Ehrenreich und ich gingen Hand in Hand zu Otto Wagners Postsparkassengebäude, standen davor, umkreisten es, standen wieder davor und ließen die Schönheit auf uns wirken, bis unsere Gemüter sich aufgehellt hatten.“

Und inzwischen ist in einem fiktiven Österreich, dessen Regierung nicht zurückgekommen ist, das Arbeiterparadies ausgebrochen. „Das ganze Land versinkt in einem Meer von schwarzen Fahnen. Die Hotels waren von Medienleuten aus aller Herren Länder ausgebucht. Bilder wurden ausgestrahlt, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte.“

Michael Scharang, natürlich der konsequente, unerschütterliche Altlinke hat hier ein Buch vorgelegt, das in seiner Komik und in seiner Voraussicht fast ein wenig verzaubert. So auf die Art „So könnte es sein“, wenn auf Seite 209 steht: „Wir sind Nullen, und wir beginnen bei null. Alles ist kaputt, die Arbeiterbewegung, die Studentenbewegung, die kommunistischen Parteien, die Gewerkschaften. Wir haben es leicht. Wir wissen, was unsere Vorgänger richtig und was sie falsch gemacht haben. Ihr Fehler war, dass sie den Kampf eingestellt haben, bevor er gewonnen war. Sie haben Waffenstillstandsangebote akzeptiert, die Waffen niedergelegt – und sind erschossen worden. Wir werden unerbittlich sein: kein Frieden mit den Kriegsfreunden, keine Freundschaft mit den Menschenfeinden.“

Ein wunderbares Buch, das nicht nur skurril ist, sondern sehr nachdenklich macht. Die Altersweisheit des Autors hat noch immer nicht seine revolutionären Ideen milde gestimmt. Vielleicht ist das auch gut so!

 

Hans Bäck




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