Dicht

von Stefanie Sargnagel
Rezension von Hans Bäck

Aufzeichnungen einer Tagediebin

Rowohlt, ISBN 978-3-498-06251-4

 

Natürlich darf eine Frau über Schulerlebnisse schreiben, die ihr das junge Leben so unerträglich machten! Aber klar, das haben Hunderte vor ihr auch gemacht und da waren Autoren, Dichter und Schriftsteller darunter – und es ist oftmals dabei Weltliteratur herausgekommen. Das muss man ja nicht immer erwarten.

Natürlich darf eine junge Frau darüber schreiben, wie sie den Alltag eben nicht in der Schule verbringt, sondern mit gleich Leidenden in den div. Parks verbringt und sie nicht wissen, wie sie zum nächsten Bier und Joint kommen. Denn das Leben kann schon hart sein! Auch darüber haben aberhunderte Menschen geschrieben, sich beklagt und auch dabei ist manchmal große Literatur herausgekommen.

Natürlich darf eine junge Frau darüber schreiben, wie sie und die Freunde mit Kleinkriminalität versucht haben, diese geschilderten Situationen zu verbessern. Wie sie es geschafft haben, die Mutter, die ja so ahnungslos war, hinters Licht zu führen, die Fehltage in der Schule zu begründen, die ausbleibenden Lernfortschritte zu kaschieren. Ärgerlich ist nur, dass dies alles schon längst auch als Literatur bekannt geworden ist und eigentlich nichts Neues unter der Sonne darstellt.

Aber natürlich darf eine junge Frau schildern, dass ihr die Fernsehsendung mit den Simpsons sinnvoller erschien als den Tag in der Schule zu verbringen, und das muss als notwendig hingestellt werden. Blöd, dass auch andere vor ihr Ähnliches erkannt und niedergeschrieben hatten – auch damit einiges an Weltliteratur geschaffen.

Selbstverständlich darf eine junge Frau darüber schreiben, wie sie und ihre Clique eine junge Familie mit den notwendigen Möbeln von Ikea versorgten und an den Kassen ohne zu bezahlen vorbei kamen. All das ist zwar oft vorgekommen, jedoch zum Unterschied von den vorigen Schilderungen noch nicht so oft beschrieben worden und Weltliteratur wurde es auch bei der jetzigen Beschreibung nicht. Aber, natürlich, darf die junge Frau das auch schildern und schreiben, wir haben ja die Presse- und Redefreiheit, auch wenn die Junge und ihre Freunde es selber damit nicht so genau halten und Andersdenkenden sehr gerne das Wort abdrehen wollen.

Klar, mit der Zeit bewegen sich die Ereignisse weg von der Kleinkriminalität, sie werden größer, ärger, bedrohlicher. Auch das ist schon öfter zu lesen gewesen, ganz selten war da noch Literatur dabei, doch hin und wieder, auch als große Literatur, zu finden. Ja, in anderen Sprachen, wobei anzunehmen ist, dass die junge Frau, trotz fast geschaffter Matura davon noch nie etwas gehört, geschweige gelesen hatte.

Natürlich darf sich die junge Frau, als sie gemeinsam mit ihrem Freund bei einem Einschleichversuch in einem Möbelhaus von der Polizei gestellt werden, als Bonnie und Clyde fühlen, ohne zu wissen wer das sei. Erst nach der Polizeihaft fand sie das Taschenbuch „The strange history of Bonnie and Clyde“. Folgend waren einige Stunden Sozialarbeit bei Neustart mit der Erkenntnis, „Kriminalität lohnte sich“ (Seite 232).

Natürlich darf und kann und soll sie das alles schreiben, nochmals, ich würde ihr nie den „Mund verbieten“.

Was ich nicht verstehe, was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass ein Verlag dieses Manuskript annahm und ein „Buch machte“. Wobei, 2016 erhielt diese junge Frau den BKS Publikumspreis beim Bachmannpreis in Klagenfurt. Ohne von der Jury auch nur im Ansatz in die Shortlist aufgenommen zu sein, gelang es durch die Motivierung und Organisation ihres Freundeskreises, ihrer Community, das Quorum für die notwendige Anzahl der Publikumsstimmen zu erreichen. Und das sollte für den Verlag womöglich reichen, um die Marketingüberlegungen anzustellen und die literarischen Grundsätze abzustellen!

Dann ist es kein weiter Weg mehr, dass Schriftstellerinnen sich ins Zeug legten und plötzlich stellt eine Nobelpreisträgerin fest: „Dass es sowas noch gibt, ich glaub es nicht! Ein wirklich neuer Ton in der Literatur, hier ist er!“

Und dann müssen der ORF, die Zeitungen, das Feuilleton auf den Zug aufspringen, denn man will ja als Ablehnender solcher Machwerke nicht als Nazi hingestellt werden. Das ist das eigentlich Bedauerliche, dass man nicht mehr laut sagen darf, dass etwas ein Schmarrn ist, wenn es ein solcher auch tatsächlich ist.

Ärgerlich ist, dass im Klappentext eine Sybille Berg alle Leser dieses Buches, die damit nicht einverstanden sind, mehr oder weniger zu Nazis erklärt. Diese Überheblichkeit ist so abstoßend, dass ich fast versucht bin, eine Beschwerde beim Verlag einzubringen.

 

Hans Bäck




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