11. 06. 2015 - Darf ein Lyriker alles? - Hans Bäck

Tag der neuen Texte im Literaturkreis Kapfenberg

Darf ein Lyriker alles?

Die einen meinen, ja und nicht nur der Lyriker, der Novellist, der Romancier, der Schriftsteller, der Dichter, ja alles dürfen sie.

Nein sagte der Andere, sie dürfen vieles nicht!

Wo bleibt die künstlerische Freiheit, sagten die Ersten wieder.

Das Wichtigste Gebot für den der schreibt, ist bei den zehn Geboten zwar erst das siebte, für uns aber hat es das erste zu sein: Du darfst nicht stehlen! Sagte wieder der Andere.

Falsch riefen sie im Chor, Hermann Burger sagte schon, dass nur der Laie borge, das Genie aber stehle.

Ja, auch das stimmt, sagte der Andere wieder, aber lassen wir doch den gelungenen Ausspruch eines großartigen Dichters, wie Hermann Burger einer war, so stehen, wie er gemeint war: als Apercu, als Einfall, als nette Nebensache.

Nein, es steht uns frei zu schreiben, was und wie wir wollen – so der vielstimmige Gesang der Sirenen der Literatur.

Doch der Andere blieb standhaft, du kannst alles schreiben, ja das ist richtig, aber nichts, was schon andere geschrieben haben und schon gar nicht, so wie schon andere geschrieben hatten. Das ist verboten, das wird mit Höllenstrafen belegt, nachzulesen bei Dante, bei seinem Besuch gemeinsam mit Vergil in der Hölle.

Das ist zwischen 690 und 710 Jahren alt, das brauchen wir doch nicht mehr beachten, die Stimmen der Alles-Erlauber.

Wenn der Großkritiker der deutschen Literatur in einem seiner Anfälle von gut gewählten Bonmots einmal sagte, dass es in der deutschen Literatur verboten sein müsste, über Mondnächte, die Liebe und Venedig zu schreiben, so heimste er dafür den Applaus des gesamten Feuilletons ein, das stimmt schon, darauf braucht man nicht unbedingt Wert zu legen, war der Einwurf des Anderen.

Wir haben sowieso schon genug Einschränkungen: wir dürfen nicht mehr sexistisch schreiben, wir dürfen nicht mehr Neger verwenden, die Warmen sind auch tabu geworden, was willst du uns noch verbieten?

Ich will euch gar nichts verbieten, es geht nur darum, Regeln einzuhalten und nicht nachzubeten, was andere schon vor uns erledigt haben. So der Andere.

Komme zur Sache, werde konkret, erschallte der Ruf.

Nun gut, ihr wisst alle, derjenige der als erster die Reime von Herz auf Schmerz fand, auf Rosen und Kosen, der war ein Genie – sind wir uns da einig?

 

Einverstanden, weiter!

Gut so, das heißt, alle die diese Reime heute noch verwenden, sind ganz gemeine Diebe, mehr noch, was ist das Gegenteil eines Genies: sie sind einfach literarische Trotteln.

Alle, die heute noch darüber und davon schreiben, dass im Frühjahr die Knospen sprießen, im Herbst die Blätter fallen und im November die Krähen im Nebel herumirren, sind hoffnungslose Nachahmer, Abschreiber und haben es nicht verdient, dass man ihr Geschreibe mit schr statt mit sp bezeichnet.

Wenn es aber die Menschen reizt und es sie herausfordert, das Erleben so wie sie es sehen darzustellen!?

Dann sollen sie zuerst einmal lesen, wie schön das schon vor ihnen geschrieben wurde – und nicht nur einmal! so der Andere, schon leicht zornig geworden.

Wir wollen aber unseren Lesern mitteilen, dass die Schneewolken alles zudecken, die abgefallenen Blätter am Boden rascheln, es ist ja so schön und die Menschen haben oftmals den Blick dafür verloren, und den wollen wir ihnen wieder zurückgeben.

Mit gestohlenen Worten und Bildern? Das ist kein ehrenhaftes Verhalten, das ist eines Dichters unwürdig. Wenn er nicht in der Lage ist, diese Zustände mit seinen eigenen Worten zu beschreiben, dann soll er es bleiben lassen. Die Sprache ist unser Werkstoff, den müssen wir formen, damit müssen wir arbeiten um Neues zu schaffen.

Und wenn uns das Herz übergeht, die Freuden, aber auch der Kummer, so wie die Dichter früher sagten, das Herzeleid uns übermannt?

Dann müsst ihr aufpassen, dass es euch nicht überfraut, zynisch wie immer der Andere. Und dann noch etwas: ihr könnt alle anfangen Gedichte zu schreiben, sogar mit Reimen und in Versen, aber lasst euch gesagt sein, ein Gedicht in falschen Reimen und mangelhafter Rhythmik ist nicht einmal als Klopapier zu gebrauchen. Du kannst anfangen damit, aber nur als Übungsstück, als Etüde um dich zu zwingen, die Formen auszuprobieren, damit umgehen zu lernen und dann deine eigene Ausdruckweise zu finden. Deine eigene und nicht eine kopierte, abgeschriebene! Gute Nacht allen miteinander – jetzt ist ein Bier fällig, damit beendete der Andere diesen Abend, wohl wissend, damit auch auf Widerspruch gestoßen zu sein.




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