17. 12. 2010 - Nachlese 2010, von Hans Bäck

Nachlese zu 2010

Im Buch Kohelet im alten Testament gibt es das wunderbare Kapitel über die Zeit für alles, was dem Menschen unterkommen kann. Es gibt also eine Zeit für die Freude, für die Trauer, für die Liebe, für den Zorn, für die Arbeit und für die Muse. Der Verfasser des Buches führt noch viele Beispiele an, für die es eine eigene Zeit gäbe. Und jede Zeit hat ihre Bedeutung, ihre Aufgabe. Und wir stehen alle jetzt in einer Zeit der Rückbesinnung, des Nachdenkens, wie es war und des Überlegens, wie es werden wird. Freude, Zuversicht, aber auch Bedenken, vielleicht manchmal auch Furcht vor dem was uns bevorsteht und von dem wir nichts wissen. Wir wissen nicht wann etwas kommt, was kommt, wie es uns betrifft, alles ist wieder offen: 365 Tage des Jahres 2011 stehen vor uns, heute, am 17. Dezember schreibe ich diese Zeilen, da sind immerhin schon 351 Tage des Jahres 2010 hinter uns. Es ist also an der Zeit, Nachzudenken was geschah, eine Nachlese zu halten. Keine Angst, liebe Leser dieses Blog bzw. der e-Mailnachrichten, es wird keine Aufzählung der Aktivitäten, keine Summierung der geschriebenen Zeilen usw. Es wird ganz einfach eine Nachlese zu einem spannenden Jahr.

Natürlich wird das Schwergewicht dieser Nachlese bei der Literatur liegen, aber nicht nur, es werden auch andere Bereiche der Kunst gestreift werden, es wird auch ein wenig die Gesellschaft und damit die Politik vorkommen. Lassen wir uns überraschen, was mir so als Nachlese zum Jahr 2010 einfällt.

Ich habe mir eine längere Pause verordnet und auch eingehalten und nicht zu jedem Schmarrn meinen Senf dazugegeben. Fallweise aber reizte es mich doch und ich musste wieder einmal, na ja, ihr habt es ja gelesen. Es gab relativ viel Zuspruch – der mich freute – eine einzige Abmeldung – die mich auch nicht aufregte – und viel Schweigen, das ich – unbescheiden und eingebildet wie ich nun einmal bin als schweigendes Nicken betrachtete.

Wo anfangen?

Sinnvollerweise dort, wo bzw. womit das Jahr zu Ende geht: Den unvermeidlichen Wünschen zum Weihnachtsfest und zum bevorstehenden Jahreswechsel. Die Briefträger stöhnen unter den Bergen von Post, obwohl auch davon schon vieles per Mail erfolgt. „Darf man per Mail kondolieren?“ war im Frühjahr 2010 ein Satz aus einem Buch gerissen und viel diskutiert. „Darf man per Mail Frohe Weihnachten wünschen?“ die Frage geht verloren, da es bereits geschieht und immer häufiger der Fall ist. Oftmals mit liebevoll gestalteten Beilagen, mit eigenen Gedichten und Texten, das weit aus schöner ist, als irgendeine 0-8-15 Grußkarte. Also, allen jenen, die konventionell Karten schreiben und allen anderen, die selbiges per E-Mail machen: ein herzliches Danke Schön von mir auf diesem Wege und von mir die Zusicherung, ich werde auch in den nächsten Jahren mich diesbezüglich enthaltsam zeigen und keine Weihnachts- und Neujahrswünsche versenden. Warum? Nun, lasst mir meinen Spinner, ich bin halt so, ein wenig will ich damit die Wertschätzung ausdrücken, jenen, die sonst auch vergessen würden, also schreibe ich überhaupt keine.

So, das wäre auch erledigt.

Ach ja, mit dem zu Ende gehenden Jahr wollte ich anfangen. Da stehen heute noch überall die holzgezimmerten Hütten auf unseren Plätzen in den Innenstädten herum und signalisieren den allgemeinen Anspruch den Advent zu vermitteln, zumindest „so, wie es früher war.“ Ich kann mich nicht erinnern – und als Jahrgang 1940 habe ich bewusst doch einige Advente erlebt – dass es früher „so“ war. Es gab da „früher“ im Rundfunk immer eine Übertragung aus dem Festspielhaus Salzburg (damals noch dem Kleinen bzw. Alten) und da saß einer vorne mit einer zerknitterten, leicht versoffenen Stimme und raunzte „von der stillsten Zeit im Jahr.“

Dieses verlogene Gewäsch konnte ich schon als Jugendlicher nicht anhören und jetzt als Alter schon gar nicht. Was steckt denn dahinter? Doch eine Sehnsucht von uns allen, nach etwas von dem wir träumen, das es so aber nie gab. Und als Ersatz gibt es nun die Punschhütteln, die gebratenen Maroni, den Glühwein und vor allem die Auftritte der Schulkinder aller Schulstufen, die dürfen dort gemeinsam mit ihren Lehrkräften auf der Bühne am Hauptplatz ein paar Advent- und Weihnachtslieder singen. Und das wissen die Marketingmenschen aller Gemeinden: Kinder ziehen immer (und wenn nur die Großeltern mitkommen), dann noch ein wenig Bläsermusik, der Bürgermeister und die Gemeinderäte lassen sich sehen, gehen huldvoll grüßend durch die Mengen. Ach ja, die Heimatdichter und die heimatlichen Dichter, die kommen auch zu Wort. Wobei ich nun schon erstmals den vorweihnachtlichen Frieden und die Feierlichkeiten stören muss. Selbstverständlich bekommen die Musikgruppen, die da auftreten ein Honorar (ist ja auch kein Honiglecken, bei der Saukälte die es heuer hatte, am Hauptplatz zu stehen und „es wird scho glei dumpa“ zu blasen). Was die Kinder bekamen, das weiß ich nicht, die heimatlichen Dichter gehen natürlich leer aus (sollen froh sein, dass wir – die Gemeinde – ihnen eine Möglichkeit geben, ihre Texte vorzustellen). Sollen wir uns im kommenden Advent in der Verweigerung üben? Ich überlege es allen Ernstes!

Eingeladen wurden wir ja auch fallweise. Da war eine Weihnachtsfeier, dort ein Betriebsabend, was es halt so alles gibt. „Geh,  komm und lies ein paar Zeilen“ aber nicht zu lang und nicht zu besinnlich, sonst werden die Leute unruhig. Als Gage? Beim Abendessen eingeladen, selbstverständlich.

Kommen wir doch zu unserem eigenen Metier, zur Literatur. Viele Veranstaltungen des Kapfenberger Europaliteraturkreis waren – von der Besucherzahl her gesehen – ein Flop. Stört das jemand? Oder sollen wir mit dem Fußballklub der Stadt Kapfenberg konkurrieren? Solange die sinkenden Zuschüsse und Subventionen nicht an der Zahl der Teilnehmer gemessen werden, habe ich kein Problem damit, wenn zu einer Lesung 10 Personen kommen, die aber begeistert nach Hause gehen. Dabei bin ich sicher, es gab unter diesen Veranstaltungen einige „Zuckerln“ (für unsere deutschen Leser: das sind Bonbons), die es schon wert gewesen wären, dass ...

Schade, vielleicht ein andermal. Sicher werden wir uns überlegen müssen, wie wir unsere Aktivitäten mehr an die Öffentlichkeit bringen und die Bevölkerung informieren. Das wird im kommenden Jahr sicher eine große Aufgabe des Vorstands des ELKK werden.

Immerhin haben wir jetzt mit dem Blog und seit 1. November auch mit der neu gestalteten Homepage (www.europa-literaturkreis.net) zwei Kommunikationsplattformen geschaffen. Und da hoffen wir auf regen Zuspruch. Im Blog hat unser Zähler immerhin bis 17. 12. 2010 6435 Zugriffe registriert. Und wenn wir dann im kommenden Jahr die Beiträge wieder öfter einstellen, dann wird auch der Gedankenaustausch in Gang kommen. Und diese Nachlesen wird es auch noch weiterhin geben, ebenfalls eine Zeit lang als Mail an Interessierte.

Und nun zu Büchern. Ich komme wieder auf den Verfasser des Buches Kohelet zurück. Es gibt die Zeit des Überflusses und es gibt die Zeit der Dürre, schrieb er. Wenn wir die Autoren des ELKK hernehmen, so war es sicher ein Jahr des Überflusses! Es gab eine große Anzahl von Veröffentlichungen unserer Autoren. Das ist ein gutes Zeichen, wobei ich manchmal daran denke, dass im Wort ÜBERFLUSS auch das Vorwörtchen „über“ drinnen steckt und bei Überfluss auch schon einmal „zuviel“ bedeuten kann, einiges wäre besser gewesen, wenn es nicht erschienen wäre. Aber das ist eben so, dass auch manchmal etwas „durchrutscht.“ Wir haben ja im Rahmen der Lesebiennale da Beispiele erlebt. Gut, nein eigentlich nicht gut, aber darüber schrieb ich ja schon: Therapieschreiben und dergleichen und da haben sich ja die Leser des  Blogs und dieser Nachlesen sehr intensiv daran beteiligt. Damit ist wohl auch für uns als Redaktion des Reibeisens eine Klarstellung erfolgt. Wir werden in Hinkunft doch die literarische Qualität in den Vordergrund stellen und nicht das Bedürfnis von jemand, sich sein Leid und seinen Kummer von der Seele schreiben zu müssen. Nochmals und abschließend zu diesem Thema: Wenn der Text gut geschrieben ist, hat er auch eine Chance. Aber um den Schweizer Autor Peter Bichsel (nochmals) zu zitieren: “Wenn ich einen Befund habe, gehe ich damit zum Facharzt und nicht zum Verleger.“ So einfach ist das im Prinzip. Aber eben nur im Prinzip.

Aber was war denn in der übrigen, der Großen Literatur los? Gab es da auch eine Zeit des Überflusses? Im Sinne von „zuviel“ ganz sicher! Die Freunde, die jährlich die Buchmessen besuchen, werden das bestätigen. Das ist sicher ein Überfluss sondergleichen! Wer da alles von Schreiben leben muss! Es ist ja wirklich unbegreiflich, dass auf diesem Markt die einfachsten Marktgesetze überhaupt nicht funktionieren! Es ist schon spannend als Mensch, der Jahrzehnte lang sich mit Wirtschaftsproblemen herumschlagen musste, zu sehen, wie alles, was wir einst gelernt hatten über den Haufen geworfen wird. Angebot, Nachfrage, Produktion, Substitution, Innovation, am Buchmarkt oder im Literaturbetrieb geht alles drunter und drüber. Es gab immer wieder Jahre, wo es den so genannten Überdrübertreffer gab. Das Buch der Bücher des Jahres so zu sagen. Es ist schon klar, das kann es nicht jedes Jahr geben. Und so ein Jahr scheint es, war auch das 2010! Das Buch, das mich vom Hocker gerissen hätte, nein, das war nicht dabei. Dabei habe ich aufgrund der Rezensionen doch wieder viele gelesen – auch dank der Stadtbücherei Kapfenberg, die immer sehr viele  Neuerscheinungen auflegt. Und es ist nun doch schon wieder einige Jahre her, dass es DAS BUCH gab. Trotzdem, es gibt unendlich viele Bücher, sehr gute, ausgezeichnete und das ist schön so. Trotz aller Überproduktion gibt es doch auch die Qualität und finden wir uns ab damit, es muss nicht immer das sein, das alles vorhergegangene in den Schatten stellt. Freuen wir uns an den Büchern die es gibt und freuen wir uns auf jene,  die kommen werden.

Und jetzt werde ich erstmal etwas in eigener Sache schreiben. Ich freue mich riesig, im März anlässlich der Buchmesse in Leipzig wird auch mein erstes Buch erscheinen. Der Verlag Kulturmaschinen in Berlin bringt meine „Lautsprecher in den Bäumen“ heraus. Ich hoffe, das Buch findet eine gnädige Leserschaft und ich werde rechtzeitig zu den jeweiligen Präsentationen einladen!

Das Jahr 2011 wird auch wieder unseren Literaturworkshop bringen, gleich zu Jahresbeginn werden wir im Vorstand den Termin und den Ort fixieren, um allen die Möglichkeit zu geben, ihre Termine und Urlaube dementsprechend zu planen. Eines kann ich euch heute schon verraten, es wird wieder ein Ort voller Geheimnisse und Mystik sein!

Wenn wir davon hören, dass der Wildbach rauscht, so fällt uns unwillkürlich ein: „romantischer Kitsch“ und nicht zu Unrecht. Und warum fällt unseren Autoren das nicht ein, wenn sie vom Dröhnen der Brandung, vom Ziehen der Wolken, den Klang der Glocken fern über die Felder schreiben – und hunderttausend anderer Metaphern mehr? Wünschen wir uns eine Literatur, die voll Romantik sein darf, aber frei vom Kitsch! Wenn uns das 2011 bringt, dann können wir zufrieden sein!

Liebe Literaturfreunde, der Frieden der Weihnacht sei bei uns allen und das kommende Jahr bringe uns wieder ein Stück näher zu dem, was wir uns im Leben vorgenommen haben!

 

Mit den besten Grüßen – Euer Hans Bäck




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