Nichts wird so bleiben, wie es war?

von Ulrike Guèyrot
Rezension von Hans Bäck

Molden Verlag

ISBN 978-3-222-15062-3

 

Unwillkürlich fragt man, warum noch ein Buch, ein Artikel, ein Essay, das sich mit der Zeit nach Corona beschäftigt? Beiträge, mehr oder weniger klug und fundiert, manche an den Haaren herbeigezogen in den Schlussfolgerungen, etliche lesenswert, werden täglich neu auf den Tisch gelegt.

Und nun das schmale Buch aus dem Moldenverlag der Autorin, die u. a. Professorin an der Donau-Universität Krems ist. Auf knapp 100 Seiten reißt sie die Probleme Europas schonungslos auf. Nicht erst seit Corona, die Wurzen liegen tiefer. Die Frage wird aufgeworfen, ob es nicht höchst an der Zeit wäre,  die europäische citicenship zu aktivieren und die Artikel 17- 22 der EUV endlich ernst zu nehmen. Damit würden viele zusammenhängende Aufgaben plötzlich virulent: Die europäische Arbeitslosenversicherung, die europäische Sozialgesetzgebung, die europäische Mindestsicherung und vieles mehr. Das ist so viel, dass es den Eindruck erweckt, es würde noch 20 Pandemien brauchen, um all dies zu realisieren. Doch halt! Die Autorin sieht Wege, Möglichkeiten, da voran zu kommen. Und sie zeigt auch auf die beharrenden, die bremsenden Politiker, sie teilweise sogar beim Namen nennend. Schön und gut, Utopien werden gebraucht um Realitäten zu verändern, das war schon in den Anfängen der Europäischen Einigung so und wird es auch in Zukunft so sein. Die aufgezeigten „Utopien“ sind, wenn man das Plädoyer Guèrots verfolgt, gar nicht so unglaublich und realitätsfern. Es bedürfte nur einiger Kleinigkeiten, wie beispielsweise, das Zurückstellen der nationalen Interessen im Rat, in der Kommission, im Europäische Parlament und stattdessen mehr europäisch zu denken. Das allerdings, so der Befund der Autorin, ist derzeit in weite Fernen gerückt. Doch sie gibt die Hoffnung nicht auf, im letzten Kapitel entwirft sie eine Möglichkeit, die bestechend erscheint – der europäische Bürger wird wach und mündig und nimmt dieses Europa in die Hand, es entsteht nicht eine ‚karge EU, sondern eine wirkliche europäische Gemeinschaft.’ Spätestens an dieser Stelle stockt die bisher vorbehaltslose Zustimmung des Rezensenten. Als „Spätgeborener“ (Jg. 1940) wurde die Entstehung Europas miterlebt und da ist die Erinnerung vorhanden, dass von Anfang an nicht die Bewegung von „unten“ vom Bürger, vom „Volk“, vom Wähler kam. Es waren ganz einfach „weise alte Männer“ rechts und links des Rheins, die Taten setzten. Und nun ist eine weitere Bemerkung des Rezensenten fällig: Es ist ärgerlich und störend beim Lesen die blöden * in Wörtern wie Bürger*innen, Europäer*innen vorzufinden. Was soll das aussagen? Die Frauen unserer Gesellschaft haben es doch nicht mehr notwendig so verballhornt aufzuscheinen! Ich wiederhole daher mit einem gar nicht wertfreien Unterton: Das Europa, wie wir es bis heute erleben durften, wurde von weisen alten Männern erdacht und geschaffen. Und es ist leider eine Tatsache, dass die größten Probleme der heutigen Union auf zwei Sätze von zwei Frauen zurückzuführen sind: Der erste Satz: „I want back my money!“ Damit hat Magret Thatcher für alle Zeiten den nationalen Poker um Eigenheiten, Eigenständigkeiten, um eigene Wege eröffnet. Und der zweite Satz war nicht minder verhängnisvoll: „Wir schaffen das!“ Fr. Merkel hat sich dadurch die AfD in den Bundestag geholt, die Rechtsextremen in ganz Europa aufmunitioniert, das Entstehen von Parallelgesellschaften nicht nur in den deutschen Großstädten ermöglicht. Ja, auch die Sonderwege von Polen und Ungarn gefördert oder zumindest realisierbar gemacht. Natürlich, bei diesen Staaten kommt noch dazu, das durch die Überheblichkeit der jungen, europäischen Eliten, deren Wahlenthaltungen (wozu sollen wir wählen gehen?) genau jene Kräfte die Überhand bekamen, die heute und in den nächsten Jahren das Europäische Projekt erschweren werden. Es gibt zu viele Baustellen in und bei Europa, dass es nach Ansicht des Rezensenten nicht genügen wird, mit der Europäischen Bürgerschaft das alles beheben zu wollen. Da wird unendlich viel und harte Arbeit notwendig werden, wenn die Corona-Pandemie dazu einen Anstoß geben kann, sollten wir einigermaßen zuversichtlich den nächsten drei Jahren entgegenblicken können. Und hoffen, dass es wieder ein paar weise alte Männer (und durchaus auch Frauen) gibt, welche die Utopien mit der notwendigen Pragmatik angehen. Und da bin ich zuversichtlich, dass auch die Jungen Europäer dies erkennen und mitmachen. Es ist ja deren Europa!

 

Hans Bäck




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