Stahl, Seide, Sog & Druck

von Hans Bäck
Rezension von E X T E R N

Roman

Engelsdorfer Verlag, Leipzig

ISBN 978-3-96145-876-9

 

„Nun seit einigen Wochen das Buch fertig gelesen, und seit einigen Wochen mit dem Gedanken auf der Suche nach etwas, dass schön und mit Rhythmus aus den Kopf rinnt. Nach einem, so zu sagen, “weich fließenden Satz”, wie es ungefähr in einem poetischen Vers klang, den ich vor Jahren in einem “Reibeisen” - das Kulturmagazin vom Literaturkreis Kapfenberg herausgegeben - las und mir in Erinnerung geblieben ist. Ich meine etwas Besonderes, Wirksames, das ein Start für die Präsentation oder, wegen Covid 19, für eine Rezension sein könnte.

Anstelle dieser hoch klingenden Phrase, ähnlich wie ein blinkender Fahrtrichtungsanzeiger, taucht immer wieder die gleiche Idee auf: ‚Du hast auch diesmal nicht einfach eine Geschichte gelesen, sondern mehreres gelernt.’

Ich...das heißt, auch andere Leser, die wenig oder überhaupt keine Kenntnisse im Rahmen Marktwirtschaft diesbezüglich Betriebshandlungen besitzen, hätten Gelegenheit Erkundung zu finden. Obwohl unser Autor uns wissen lässt: ‚...es handelt sich um einen Roman und um keine Reportage’, schaden, meiner Meinung nach, neue Überblicke nie.

So ähnlich passierte es mir auch mit dem ersten Roman von Hans Bäck: „Lautsprecher in den Bäumen“. Durch das Erzählen unseres Wirtschaftsexperten konnte ich mich, wenn immer nur geringfügig, auch damals mit den notwendigen nicht mehr verschiebbaren Umstrukturierungen und Modernisierungen von Betrieben im fernen Russland während der Jelzin Ära, bekannt machen.

Bemerkenswert: Bewegungsgrund unseres Beraters, abgesehen normalen Ehrgeiz, ist nicht eigenes Interesse oder besser gesagt nur das Einkommen. Bei ihm stehen die Menschen, ihre Arbeit, ihr Leben im Vordergrund. Auf gleicher Stufe auch Umweltschutz. Eine Art zu tun und zu handeln, wovor man den Hut ziehen kann.

Dieselben Gedanken und Bemerkungen gelten weiterhin für den zuletzt herausgegeben Roman, dessen Titel “ Stahl, Seide, Sog & Druck” lautet.

Zusammengefasst, im ersten Abschnitt,

„Stahl“  erfährt man über Angelegenheiten, die sich in einem wichtigen Stahlkonzern in Österreich ereignen. Na ja, für mich kurz und gut ein “gruppo industriale “, das eben Stahl erzeugt und mit Markt zu tun hat. Stopp.

Aber nein, es läuft gar nicht so einfach: Bald gewinnt Andreas Corman, durch sein berufliches Verhalten - und das noch bevor er selbstständiger Unternehmensberater wird - schon wieder meine/unsere respektvolle Aufmerksamkeit. Dynamiken, Rollen, Projekte und Änderungen halten immer noch vor Augen die Menschen und umweltfreundliche Prozesse und Technologien.

Aber so wird er, wie angedeutet, auch später handeln, sobald er selbstständig tätig wird. Einstellung und Verhalten ändern sich nicht, nur Einsatz und Anstrengung steigern. Das lässt sich aber nicht vermeiden.

Ich wurde also noch einmal in eine Welt projiziert, eine technische Welt, mir von Bildung aus fremd - und gerade nicht meine Neigung-, die auf einmal trotzdem eine gewisse Neugier geweckt hat. Wer konnte schon ahnen, dass ich Zeitungsbeilagen, welche sich mit Marktwirtschaft beschäftigen, statt wie üblich in den Papierkorb landen lassen, durchgeblättert und manche Artikel sogar gelesen hätte?

Möchte noch hinzufügen, wie ich durch Bäck’s Buch verschiedene Fachbegriffe und Definitionen betreffs Bereiche, Materialien, Arbeitsverfahren, die mir auch auf Italienisch unbekannt waren, zur Kenntnis gekommen sind. Muss gleichzeitig zugeben, dass ich nicht immer alles gut oder richtig verstanden habe, und hätte nichts dagegen mich “ein bisschen” belehren zu lassen. (Nur ein bisschen, aber! Bitte um Verzeihung).

 

Von diesem ein wenig (für mich) komplizierten Kontext abgesehen, finden wir rundherum vielfältige Intermezzos. Zum Beispiel eine wichtige Ergänzung zur  „großen oder zur Haupt-Geschichte” realisiert die Begegnung mit Menschen, und deren Schicksalen und Lebensereignissen, während einer sonderbaren Mitarbeit in einer Werft von Monfalcone, ganz in der Nähe von Triest. Erzählungen und Erinnerungen, bei denen eine wahre Abrechnung heute noch fehlt. Historiker deren Aufgabe es wäre jede Version, auch wenn nicht immer und für jeden akzeptabel, mit Vernunft darzustellen. Jedenfalls lassen uns diese Ereignisse bewusst werden, wie eigentlich Geschichte eher aus der Summe dieser kleinen und oft sehr schmerzhaften Erfahrungen besteht, mehr als von Entscheidungen der  Politiker oder von unsinnigen Befehlen der Generäle. Einblicke, die unterschiedliche Mentalitäten und Kulturen berühren und nicht selten auch Probleme der Sprache, als Kommunikationsmittel gesehen, mit sich bringen.

Glücklicherweise, mit der Qual der Wahl, in einer Osteria im Karst oder in einer Gostilna lässt sich die Seele danach erleichtern. Nur der Magen wird vielleicht ein wenig misshandelt, denn gerade leicht sind die Speisen nicht, besonders wenn man dazu als Vorspeise eine Platte Prosciutto di S. Daniele oder Prsut und Salami eingeschoben und mit Cubana abgeschlossen hat. Soll es eine gute Flasche Wein vom Collio, einen rubinroten Refosco oder einen herben Terran aus Slowenien gewesen sein, wird ein guter heißer Espresso helfen. Mit oder ohne Milchcreme (für mich ohne, bitte!)

Lassen wir uns dann durch die vielen uns bekannten Gegenden begleiten: in den Gassen des berühmten Görz herumschauen, im Villaggio del Pescatore rasten, im Restaurant Dama Bianca in Duino gemütlich gute Kost genießen. Im Dunklen, unter einen Sternenhimmel oder hellem Mond auf der Mole spazieren und “Im Schein der Lampe” eine der ergreifenden Duineser Elegien traumverloren lesen: “Wer, wenn ich schrie...” Ach, warum packt mich jetzt ein Schauer, ähnlich einer ungemütlichen Vorahnung...Wo ist nun mein Engel geblieben? Werde ich ihn noch einmal finden?

Der Name, und Palindrom, Anna wirkt schön für einen Engel. Man sagt, man soll ihn anrufen um etwas Verlorenes wieder zu finden.

 

Seide. Von Anfang an eine weniger komplizierte Art und Weise: so fühle ich es wenigstens. Vielleicht weil Seide besonders für Frauen ein beliebtes und nicht selten auch geträumtes Konzept darstellt? Jein, machen wir es nicht so banal und simpel.

Es stünden Argumente vor, um die betreffenden Kapiteln zu besprechen und Fragen zu stellen. Vor dem Leser stehen sehr intensive Seiten. Als erstes möchte ich aber betonen wie zärtlich, voller Liebe und gleichzeitig realistisch und direkt der Autor die Persönlichkeit und die Kompetenz von Fräulein Cecilia, mit Kosenamen Celia genannt, schildert. Schon bei der ersten Dienstreise unseres Andreas Corman nach Wien tut sich viel. Das winzige Büro von Fräulein Fürstner liegt im 6. Stock. Unser Protagonist wird es friedlich mit einem Paternoster erreichen. Muss ich lachen: würden Jüngere wegen Treppensteigen-Anstrengung an das Gebet denken? Lassen wir uns über so ein Altertum überraschen.

Da ist sie, die junge Dame, “unglaublich wichtig für mich“ wie der Oberreferent sich ausdrückt. Mit nach oben verdrehte Augen antwortet Celia: ”Er fürchtet, dass ich ihm eines Tages abhandenkomme”.

Musica laetitiae comes medicina dolorum (musica compagna della gioia, medicina nel dolore, Johannes Vermeer).

Es beginnt bei den zwei jungen Leuten “in laetitiae” mit einem Konzert: Schubert und Haydn. Danach an einem Würstelstand am Karlsplatz bleiben, noch herumstehen und plaudern und die Gegend in welcher der Roman “Strudlhofstiege “ sich abspielt, entdecken...Celia, von nun an die Begleiterin im jüngeren Teil Andreas Leben.

Mit Celia eindrucksvolle Bergerlebnisse, Geschäftsreisen kombiniert mit kurzen Kunstbesichtigungen oder erholenden Wochenenden.

Chancen, Anerkennung, Sozialprestige soll man womöglich blitzartig ergreifen. Pläne lassen sich doch auflisten.

Eine neue Erfahrung startet auch für Celia: auch sie setzt sich als selbständige Marktspezialistin ein.

Im „Universum Gewebe“, wie schon angedeutet, bildet Seide einen Luxussektor. Der Bereich Seidenproduktion in der Region Piemont wäre geschichtlich und unter mehreren Gesichtspunkten ein zu untersuchendes Thema: ausgehend von industriellen Architekturen und sozialen Problemen. Es handelte sich um schwere und ungesunde Arbeit und Minderjährige wurden auch zugeteilt (heutzutage von Robotern und Klimaboxen wenn auch positiv die Arbeit erleichtert, aber eine gewisse Arbeitslosigkeit im Sektor verursacht).  

Von asiatischer Herkunft und vor Christus bekannt, wurde der Maulbeerbaum (Morus) auch “Schutzbaum” genannt: weil er rundherum die Weinreben eben schützte. In China (aber dann auch im Piemont) wurde auch Papier daraus erzeugt. Beeren können auch im Kosmetikbereich verwendet werden. Da die grünen Blätter der Zucht des Seidenspinners dienen war das der Hauptgrund um Maulbeerbäume nach Europa einzuführen.

Aber aufpassen, lieber Leser: “ Seidenfäden kommen von einer Raupe, un bruco, nicht von einem Wurm, von einem Verme”!

Den Höhepunkt bei Celia werden wir in der Mailänder Scala erleben: zum magischen Musikabend trägt sie ein wunderschönes luxuriöses Seidenkleid. Haltung und Aussehen: um ihr Hals ein Collier, das sie von Andreas geschenkt bekommen hat.

 

“Und das Schönste zeigt die kleinste Dauer“, Heimito von Doderer.

 

Sog & Druck: Diese beiden Wörter, mit jeweils eigener Bedeutung, bilden hier dagegen ein binäres und untrennbares Paar, da sie zusammen eine ganz andere, und in diesem Fall nicht gerade angenehme, Kraft und Bedeutung weiterleiten. Man könnte es ein semantisches Code benennen, welches in eine Lebenserfahrung einen umfangreichen Blick wirft.

Sog spielt jetzt hinterhältig mit unserem Paar:

Das nächste Mal...

Die nächste Woche, Monat ...

Die nächste Tour ...

Die nächste Besichtigung...

Es wird schon werden...

Im Wirbel, keine Zeit um sich Zeit zu nehmen. Weiter im Hamsterrad...und auf einmal, spürt man den Druck. Wenn das Bremsen noch immer nicht gelernt wird, wird man dazu gezwungen werden. Man wird sich Zeit nehmen müssen: es kann bitter sein.

(Eine Redewendung klingt ungefähr so: wenn Du den Himmel standhaft mit einem Wunsch anbetest, irgendwann wird dein Wunsch erfüllt werden, nur Du weißt nie im Voraus wann, wie und warum)

Meine persönliche Erfahrung: jedes Mal als das Wochenende in unserem Häuschen im Gebirge zu Ende war, dachte ich mit einem Seufzer: “Würde ich gern längere Zeit hier verbringen”. Jetzt bin ich praktisch seit dem 5. März da angesiedelt. Darf mich in keinem Sinn beklagen aber ...Wo steckt der Grund? In einem verdammten gefährlichen Spuk! Mein Wunsch wurde doch erfüllt!)

“Welcher Geiger hat uns in der Hand?”, Rilke

Vieles wäre noch bemerkenswert: langjährige Freundschaft und Auseinandersetzungen mit denen man nie rechnen wollte...Na ja, es wird schon wieder gut werden.

Ich denke, es ist Zeit alles andere dem Leser zu überlassen: beim Lesen keinen Druck, nur positiver Sog.

 

Renata Grim, Trieste




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