18. 12. 2022 - Literatur:Melange im Advent

   

    




09. 10. 2022 - Literaturbiennale-Lesefest

Zu lesen in der "Obersteirischen Rundschau" vom 19./20. Okt. 2022

 

 

Zu lesen in der "Woche - MeinBezirk.at" vom 19./20. Okt. 2022

 

 

Zu lesen in der "Obersteirischen Rundschau" vom 7./8. Sept. 2022




12. 05. 2022 - Das neue REIBEISEN

 

Ein Nachbericht in der "Kronen Zeitung"

 

Ein Bericht in der Ausgabe Nr. 340 (Mai 2022) in der "tip - Bezirks Revue"

 

Es ist da! Das neue REIBEISEN - Ausgabe Nr. 39 / 2022

Ruth Barg_Sepp Graßmugg_Barbara Klein_Hans Bäck_Adelheid Daschek




05. 04. 2022 - Benefizveranstaltung




15. 03. 2022 - UKRAINE - Worte statt Waffen

 

Dirk-Uwe Becker, u. a. Mitglied des deutschen PEN und im Vorstand des "Europa-Literaturkreis Kapfenberg" liest aus dem bisher unveröffentlichten Roman „Grauzone“ des ukrainischen Autors Aleksei Bobrownikow.

Darin beschreibt Bobrownikow die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine, auch „Graue Zone“ genannt.

 

Hier der Link zur Lesung: https://vimeo.com/691374107

 


 

Norbert Leitgeb

 

Bitteres Lachen

 

Sie werden lachen, ‘s war zum Schießen,

als just im Fasching Bomben krachten,

sie Masken sich von Fratzen rissen

und Fremdland sich zu eigen machten.

 

Der Einmarsch dient gerechter Sache?

Es wurd‘ wohl selten mehr gelacht!

Verhöhnend wird der mutig Schwache

vom Blutopfer zum Täter g’macht!

 

Der Herrscher trägt die Schuld alleine?

Zu grausam-kraus wär‘ seine Sicht?

Doch käm‘ der Krieg nicht auf die Beine,

gäb‘ es die Helfershelfer nicht.

 

Das Grauen kam in Divisionen,

zu deren Wohl, wie ‘s höhnisch hieß,

als, ohne Frau und Kind zu schonen,

man gegen ‘s Völkerrecht verstieß.

 

Die UNO saß mit lahmen Gesten

und schaffte nichts als leere Phrasen –

doch wurd‘ dem Schuft sogar vom Westen

Vorsitz und Vetorecht belassen!

 

Man sagt, wer schnell hilft, helfe doppelt,

doch wird erst lange diskutiert,

und statt zu eilen wird gehoppelt,

dieweil man haufenweis‘ krepiert.

 

Man kämpft nicht selbst, doch gibt ’s Sanktionen,

und neue Waffen auf Kredit,

denn Nachbarhilfe muss sich lohnen.

Wo ‘s Kriege gibt, gibt ‘s auch Profit!

 

Doch schafft vielleicht man eine Wende

durch breite Solidarität,

damit den Graus man doch noch ende –

es wär‘ zu hoffen, dass das geht!

 

Es ist heroisch, wie sie trotzen

der tollwütigen Übermacht.

Die eig‘ne Ohnmacht ist zum Kotzen.

Nie wieder Krieg? - Kaum je so g´lacht.

 


 

Michael Fuchs

 

BLUT IN DEN STRASSEN

Die Straßen sind voll von Blut

in den Köpfen regt sich Wut

 

Gewalt, das Wort wird zum Gesetz

gehetzt, gejagt, verletzt

 

bleiche Gesichter klaffen an den Wänden

die ihre Botschaften senden

 

in halb dunklem, weit dem Tag entfernt

geschehen Dinge . . .

 

sie haben nichts gelernt

 


 

Hans Bäck

 

Es ist genug!

Im November 1956 sandte der Chefredakteur der ungarischen Nachrichtenagentur MIT kurz bevor das Büro von der russischen Artillerie dem Erdboden gleichgemacht wurde ein Fernschreiben an die ganze Welt, dass der russische Angriff auf Budapest begonnen habe und endete mit den Worten „Wir sterben für Ungarn und Europa!“

Im August 1968 marschierten die Truppen des Warschauer Paktes in Prag und der übrigen Tschechoslowakei ein. Hunderte, tausende Menschen der Charta 77 wurden in die Gefängnisse geworfen, verloren Arbeit und Pensionsansprüche, für die CSSR und für Europa.

Von September bis November 1991 starben in Vukovar hunderte Menschen für die „Nation, das Vaterland und Europa“ und dann 1999 feuerte die Nato Bomben auf Belgrad, Novisad und andere serbische Städte im Namen der „Freiheit und Europa“.

2003 war die freie Welt ganz arg bedroht durch den Irak unter Sadam Hussein und wurde daher dieser und sein Staat zerbombt. Wieder im Namen der Freiheit und damit ist die freie Welt bis heute noch nicht fertig!

Die Folgen sind allgemein bekannt: Der Dschihad, der IS, Al Quaida, und letztlich die gnadenlose Verfolgung der Taliban um die Freiheit in Afghanistan zu sichern. Denn immerhin, die deutsche Bundeskanzlerin behauptete, dass die Sicherheit der Bundesrepublik auch am Hindukusch gefährdet sei.

Und nun sterben und fliehen Menschen wieder für die Sicherheit und Freiheit Europas, mitten in Europa. Nun stirbt die Ukraine für uns!

 

Hört das niemals auf???

Wer ist dieses oder dieser Europa der oder das so unverschämt den Tod unendlich vieler Menschen verlangt, es in Kauf nimmt, dass mühsam aufgebaute kleine Hütten von Panzern plattgewalzt werden oder Wohnungen in Hochhäusern und Plattenbauten beschossen werden.

Und wieder wird für Europa gestorben.

Schön langsam denke ich mir, diese namensgebende phönizische Königstochter hätte sich mit dem vermaledeiten Stier nicht einlassen sollen!

Publikumswirksam ist es immer noch und ganz besonders in Zeiten der TV-Direktübertragung zu hören „Herr Bundeskanzler, wir sterben auch für Euch!“

 

Es ist genug gestorben, es sind genug Menschen geflohen, haben ihr Hab und Gut verloren! Man rufe sich in Erinnerung wie traurig der alte Mann vor dem Bombentrichter steht in dem sein Auto, sein kostbarstes Stück, sein mühselig erworbenes, mit Liebe und Hingabe gepflegtes Her-zeig-Objekt ein Blechklumpen in einem Erdloch ist.

 


 

Friederike Krassnig

 

Unter der Sonne

Wo friedlich Schafe weiden,

haben Wölfe nichts zu suchen,

man muss auch Menschen meiden,

die mit geballten Fäusten fluchen.

 

Lasst Liebe eine Sprache sein

und ist sie noch so stumm,

denn ein gekonnt gespanntes Lügennetz

dreht uns den Magen um.

 

Der gute Wille und die gute Tat

besiegen Feindschaft und Verrat.

So lasst in Liebe uns zusammenhalten

und nicht durch Kriegslust alle Herzen spalten.

 

Wie herrlich und wie wunderbar

wird wieder alles Leben,

wenn alle Waffen schweigen

und Menschen nach dem Frieden streben.

 


 

Josef Graßmugg

.

. . .

. . . . . . . .

wieder neue soldaten

die alles taten

für ihren sold taten

die traten

in die armee eintraten

auf schwache eintraten

im krieg

für den sieg

in diesem krieg

sie dachten

an schlachten

an morden

für orden

nach den vielen

die fielen

wieder neue soldaten

die alles taten

. . . . . . . .

. . .

.

 


 

Karl Plepelits

 

Flucht vor der Kriegsfurie

25. Mai 1992. In Bosnien herrscht Krieg. Schmutziger Krieg. Die Serben bemühen sich nach Kräften, die bosnischen Muslime niederzumetzeln, auszurotten, zu vertilgen, als wären sie bloßes Ungeziefer.

In Kozarac, einer kleinen muslimischen Stadt in Bosnien, müssen zwei Kinder, der dreizehnjährige Resul und die achtjährige Fatima, von einem Versteck aus hilflos zusehen, wie Serben ihre Eltern auf bestialische Weise abschlachten und das Haus niederbrennen.

 

Die Bewohner von Kozarac, unter ihnen Resul und Fatima, rennen um ihr Leben. Ihr Ziel sind die Wälder des nahen Kozara-Gebirges. Unter den Flüchtlingen entdecken sie Onkel Sulejman, einen Freund ihrer Eltern, und wandern mit ihm entlang dem Hauptkamm nach Nordwesten, um so nach Österreich zu gelangen. Liebevoll wie ein Vater sorgt er für ihr leibliches Wohl. Er hat nämlich eine halbautomatische Glock eingesteckt, zeigt ihnen auch, wie man damit umgeht, und erlegt damit ab und zu einen Hasen oder einen Fasan und brät das Fleisch über einem rasch entfachten Feuer. Übernachtet wird im Wald.

Nur, so nett Onkel Sulejman auch ist, Resul fühlt sich stets diskriminiert, wenn er mit ansehen muss, wie seine Schwester deutlich freundlicher behandelt wird. Zufällig sieht er eines Abends, wie Onkel Sulejman Fatima über die entblößten Schenkel streichelt, und weiß: Ihre Keuschheit ist bedroht. Ist er nicht als ihr älterer Bruder verpflichtet, diese zu bewahren, mit welchen Mitteln auch immer? Allah (Ehre sei ihm) weiß, was wir tun. Er will, dass alle, die die Ehre der Jungfrauen schänden, gesteinigt werden.

Resul hat im Religionsunterricht gut aufgepasst.

Es wird Nacht. Resul erwacht durch unerklärliche Geräusche. Er richtet sich auf und sieht in dem durch das Geäst der Bäume gefilterten Mondlicht, wie sich Onkel Sulejman, halb entkleidet, über Fatima beugt. Ihre Beine sind entblößt und obendrein gespreizt. Noch etwas sieht er: Onkel Sulejmans Jacke mit der halbautomatischen Glock. Sie liegt in Griffweite.

Gleich einem Roboter greift er nach der Jacke, fischt die Glock heraus, lädt sie durch. Das dabei entstehende Geräusch hört Onkel Sulejman. Er wendet sich von Fatima ab, blickt zurück, springt flink wie ein Raubtier auf. Im selben Augenblick drückt Resul ab. Onkel Sulejman erstarrt in seinen Bewegungen, geht langsam in die Knie, bricht nieder, bleibt stumm und regungslos liegen.

Fatima springt ihrerseits auf, rennt auf Resul zu, wirft ihre Arme um seinen Hals, bricht in Tränen aus. „Danke, lieber Bruder! Du hast mich gerettet. Nur, was jetzt?“

„Nichts wie weg hier, was sonst.“

Er verstaut die Glock in seiner eigenen Jackentasche, nimmt Fatima bei der Hand. Und so machen sie sich durch die Dunkelheit davon wie Hänsel und Gretel und ruhen nicht eher, als bis der Morgen graut.

Weit oberhalb der Talsohle stoßen sie auf ein einsam gelegenes Gehöft. Die Bäuerin gibt ihnen zu essen und zu trinken und bietet ihnen an, in der Scheune zu übernachten und morgen früh mit ihr zum Wochenmarkt in Karlovac mitzufahren, falls sie ihr helfen, die Obst- und Gemüsekisten auf den Traktoranhänger zu heben und dort zu verstauen. Unterdessen sind sie offenbar in Kroatien.

In Karlovac angekommen, liefert die Bäuerin die Kisten und die zwei Kinder bei einem Transportunternehmer ab und bittet ihn, diese nach Ljubljana mitzunehmen.

Doch sie sind erst eine halbe Stunde unterwegs, da hält er an.

„Habt ihr überhaupt einen Ausweis?“

Resul und Fatima schütteln den Kopf.

„Nein? Da muss ich euch aber aussteigen lassen. Jetzt kommt gleich die Grenzbrücke zu Slowenien. Und da gibt’s neuerdings eine Grenzkontrolle.“

Ungerührt sieht er zu, wie die Kinder mit enttäuschten Mienen hinausklettern, und braust davon. immerhin, Allah sei Dank, beide Grenzposten können sie anstandslos passieren und setzen ihren Weg eben per pedes fort.

Enttäuscht, verbittert und schrecklich hungrig und durstig erreichen sie die erste slowenische Stadt. Wo könnten sie sich hier etwas Genießbares erbetteln? In einem Gasthaus vielleicht?

Und da taucht auch schon ein solches vor ihnen auf. Sie betreten es zaghaft und werden freundlich aufgenommen und bewirtet. Doch während sie selig schnabulieren, stehen unversehens zwei Polizisten vor ihnen und verlangen ihre Ausweise. Da sie keine zu sehen bekommen, durchsuchen sie ihre Jackentasche und entdecken – was? Natürlich, die automatische Glock. Diese wird kommentarlos konfisziert, sie selbst auf die Polizeiwache mitgenommen und dort eingesperrt. Nun, wenigstens müssen sie hier nicht mehr hungern.

Einige Tage später erscheint eine Nonne, geleitet sie zu einem Auto und verstaut sie in dessen Rücksitz. Es folgt eine stundenlange Fahrt in Richtung Norden. Nur, die Nonne schweigt eisern, und das macht ihnen mehr und mehr Angst. Zuletzt biegt sie von der Straße auf einen steil bergauf führenden Weg ab, und wenige Minuten später kommt ein auffallend großes, düsteres, ja furchterregendes Gebäude in Sicht, davor eine hohe Mauer, dahinter dichter, dunkler Wald, der sich einen steilen Berghang hinaufzieht. Der Wagen fährt durch ein eisernes Tor in einen großen Hof und hält vor dem Eingangsportal. Davor erwartet sie eine weitere Nonne, alt und dick und abscheulich anzusehen. Vor ihrer Brust baumelt ein großes goldenes Kreuz.

Resul und Fatima dürfen aussteigen, und die Nonne, die sie hierher chauffiert hat, deutet ihnen wortlos, der dicken Alten zu folgen. Diese wendet sich, ohne einen Ton von sich zu geben, um und schreitet voran, der angsterregenden Monsterbehausung zu. Im Inneren empfängt die Kinder zu allem Überfluss ein deprimierender Geruch.

Und um es kurz zu machen: Resul und Fatima befinden sich hier in einem von Nonnen geleiteten Kinderheim. Und damit, wie sich herausstellt, in einem neuerlichen Gefängnis, im Vergleich zu dem jenes Polizeigefängnis ein wahres Paradies war. Als Erstes erhalten sie christliche Namen und dürfen ihre muslimischen Namen nicht mehr gebrauchen. Ein Pater Vladislav tauft sie und versucht sie nun zu gläubigen Katholiken zu erziehen. Natürlich ohne den geringsten Erfolg.

Als weit schlimmer empfinden sie es allerdings, dass sie sofort unbarmherzig getrennt werden und dass hier absolutes Sprechverbot herrscht. Damit nicht genug, müssen sie schon wieder hungern. Obendrein werden sie pausenlos nach Strich und Faden gedemütigt, misshandelt, ja sogar gefoltert. Ihre Arbeitskraft wird rücksichtslos ausgebeutet. Und: Fatima wird von Pater Vladislav missbraucht.

So geht das viele Monate hindurch. Und erst im November hilft ein glücklicher Zufall den beiden Kindern, heimlich zu entwischen. Durch das nur kurz geöffnete Eisentor flitzen sie hinaus, entlang der Mauer in den Wald und, dort angekommen, den Berghang hinauf, verzweifelt hoffend, dass ihre Flucht nicht gleich bemerkt wird.

Nur, der Hang ist steil, und im Wald ist es nicht immer leicht, vorwärtszukommen. Und trotz des Morgennebels und der morgendlichen Kälte schwitzen sie bald wie in einer Sauna. Aber wenigstens regnet es nicht, und es liegt auch noch kein Schnee. Immerhin, der dichte Nebel ist ihr Freund.

Nach geraumer Zeit überschreiten sie die Nebelobergrenze, und sie erwartet ein strahlend blauer Himmel. Bald darauf stoßen sie auf einen Fahrweg. Das hat den Vorteil, dass sie schneller vorwärtskommen, aber den Nachteil, dass sie leichter gefunden werden können, falls man sie verfolgt, zumal jetzt, oberhalb des Nebels. Und als sie obendrein erkennen, dass der Weg zu einem bäuerlichen Anwesen führt, verlassen sie ihn gar schnell wieder und nehmen lieber die Unbequemlichkeit des dichten Waldes auf sich als das Risiko, gefasst und zurückgeschleppt zu werden. Und auch der Umstand, dass sie schwitzend und schnaufend einen Berghang erklimmen müssen, hat einen unbestreitbaren Vorteil. Die Gefahr, sich zu verirren oder gar im Kreis zu gehen, ist auf diese Weise praktisch ausgeschlossen.

Irgendwann endet der Wald, vor ihnen erstreckt sich eine weite, steile Grasfläche, übrigens ganz ohne Schnee, und zuoberst ist bereits der Gipfelkamm zu erahnen. Dieser ist, wie sich herausstellt, sanft gerundet und vollkommen frei von gefährlichen Felsen. Ist das vielleicht schon die Grenze zu Österreich?

Doch nun befällt sie eine neue Sorge: Was, wenn zufällig ein Grenzposten vorbeipatrouilliert und sie erwischt und zurückschickt oder gar festnimmt? Immerhin sind sie durch ihre hässliche Anstaltskleidung schon von weitem als Zöglinge des höllischen Kinderheims im Tal und damit als Ausreißer erkennbar. Oder noch schlimmer: Am Ende steht dort oben ein Grenzzaun mit Stacheldraht und anderen Schikanen wie bis vor kurzem am Eisernen Vorhang, und keiner kann drüber, oder man wird gar erschossen?

Schließlich stehen sie ganz oben. Sie haben den Gipfelkamm erreicht. Von nun an geht es in ihrer Richtung nur noch bergab. Nur, ist das überhaupt die Grenze? Da ist kein Grenzzaun, niemand brüllt „Stoj!“, oder wie das halt auf Slowenisch heißt, und kein Grenzposten kommt auf sie zu gestürmt, um sie am Übertritt zu hindern. Ist das am Ende doch noch nicht die Grenze? Ängstlich blicken sie um sich. Und dann zeigt Fatima erwartungsvoll auf einen niedrigen, rot und weiß bemalten Steinquader in einiger Entfernung und sagt: „Was ist das?“

„Ha, das kann doch nur ein Grenzstein sein“, ruft Resul aus, stürmt voller Aufregung auf diesen zu und erkennt schon von weitem dessen Aufschrift: ein großes O mit zwei Pünktchen darüber. Was mag das wohl bedeuten? Slowenisch oder Serbokroatisch-Bosnisch ist es jedenfalls nicht, denn in diesen Sprachen existiert ein solcher Buchstabe nicht. Es muss der deutschen Sprache angehören und ist vielleicht der Anfangsbuchstabe des deutschen Wortes für Austrija.

Ja, das muss es sein. Überglücklich fällt Resul seiner Schwester um den Hals und schreit: „Fatima, mi smo u Austriji, samo zamisli!“ („Wir sind in Österreich, stell dir vor!“)

Und ehe noch irgendwas oder irgendwer dazwischenkommen kann, nimmt er sie bei der Hand und beginnt den Gegenhang hinunterzustürmen, soweit die Almwiesen reichen. Erst als sie dem Waldrand nahe kommen, machen sie halt und setzen sich ins Gras, um zu verschnaufen und sich ihres unverhofften Glücks bewusst zu werden. Nun ist hoffentlich nicht mehr zu befürchten, dass sie ein Häscher gefangen nehmen und ins Kinder-KZ zurückschleppen könnte. Was hätten sie wohl gemacht, wäre ihnen, sagen wir, Pater Vladislav mit einem Moped nachgekommen?

Diese Frage stellt Resul in den Raum. Fatima beantwortet sie postwendend: „Ich hätte ihn mit Steinen beworfen. Noch lieber hätte ich ihm die Augen ausgekratzt für das, was er mir angetan hat.“

„He, du hast recht. Ich wäre aus demselben Grund vielleicht mit einem dicken Ast auf ihn losgegangen und hätte ihn erschlagen. Das hätte er genauso verdient wie Onkel Sulejman.“

Dann fällt ihnen ein, dass sie strenggenommen auch hier noch nicht sicher sind. Wenn die Grenze nicht stärker bewacht ist, könnten ihnen eventuelle Verfolger natürlich bis hierher nachkommen. Zudem sind sie auf der Alm weithin sichtbar.

Also auf und weiter in den Wald hinein!

Im Wald kommen sie nur langsam voran, obwohl es zeitweise steil bergab geht. Aber dann stoßen sie zu ihrer Erleichterung auf einen Fahrweg, der mäßig steil bergab führt. Und da nehmen sie erneut die Beine unter die Arme und rennen sozusagen um ihr liebes Leben und halten nur an, um an Quellen und Bächen ihren Durst zu stillen. Und vor einem einsam gelegenen Bauernhaus, an dem sie vorbeikommen, haben sie fast keine Angst mehr, und wenn doch, dann höchstens vor einem Hund, der sie unter wütendem Gebell verfolgt und den Resul mit einem rasch aufgelesenen Holzstück abwehrt.

Beim nächsten Bauernhaus erleben sie eine unsagbar freudige Überraschung. Eine junge Frau beruhigt sofort ihren Hund, der die Kinder mit Gebell begrüßt, und begrüßt sie ihrerseits in einer Sprache, die garantiert nicht Slowenisch ist und Serbokroatisch schon gar nicht. Zu ihrem Bedauern können sie den Gruß nur mit Gesten und einem schüchternen Lächeln beantworten. Aber dafür wissen sie nun ganz bestimmt, dass sie sich nicht mehr auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien befinden. Die Frau ruft ihnen auch noch irgendetwas nach. Und das klingt zwar irrsinnig freundlich, ja einladend. Aber sie verstehen kein Wort und wagen nicht zu fragen, und auch nicht, sich zu erkennen zu geben.

Nach stundenlanger Wanderung bergab – die Sonne steht bereits verdächtig niedrig – mündet der Fahrweg in ein schmales, aber asphaltiertes Sträßlein. Und bald danach sehen sie vor sich eine größere Anzahl geparkter Autos, alle mit Nummerntafeln, die garantiert nicht jugoslawisch sind, und dahinter ein Gasthaus mit großem, gutbesuchtem Gastgarten. Mittlerweile ist nicht nur ihr Durst, sondern vor allem auch ihr Hunger übermächtig geworden. Hunger sind sie zwar längst gewohnt. Aber hier verlockt sie ein köstlicher Duft, haltzumachen und, hinter einem Gebüsch verborgen, zu beraten, ob sie es wagen sollen, den Wirt anzubetteln. Fatima zweifelt nämlich immer noch, ob es ratsam ist, hier an etwas Essbares zu gelangen.

Während sie noch beraten, hören sie in unmittelbarer Nähe fröhliche Kinderstimmen. Im nächsten Augenblick stehen zwei Mädchen vor ihnen, starren sie mit großen Augen an und sagen dann etwas. Und das ist zu Resuls und Fatimas Entzücken dieselbe Sprache, mit der sie die junge Bauersfrau angesprochen hat.

Als die zwei Mädchen erkennen, dass sie nicht verstanden werden, ergreifen sie kurzerhand die Hände der total erschöpften Kinder und schleppen sie in den Gastgarten zu den dort Tafelnden. Sie postieren sich vor einem Tisch, an dem mehrere Erwachsene sitzen und sie verwundert anblicken, holen zwei freie Stühle, stellen sie an den Tisch und fordern Resul und Fatima durch Handzeichen auf, sich daraufzusetzen. Das tun sie, wenn auch nur zögernd und unter ängstlichen Blicken auf die Erwachsenen und zugleich unter begehrlichen Blicken auf die duftenden, verlockenden Speisen, mit denen der Tisch beladen ist.

Einer der Herren am Tisch hat das in diesen Blicken enthaltene Begehren offenbar erkannt. Er nimmt zwei leere Teller, legt je zwei Brotschnitten und je eine Schinkenschnitte und je zwei Schnitten Käse darauf, stellt sie vor Resul und vor Fatima hin und fordert sie, ebenfalls durch Handzeichen, freundlich lächelnd auf, unverzagt zuzugreifen und es sich schmecken zu lassen. Und sie greifen zu mit ihren schmutzigen Händen und lassen es sich schmecken. Dabei ist ihnen vollkommen bewusst, dass der Schinken Schweinefleisch ist, dessen Genuss der Islam verbietet.

Und wie sie es sich schmecken lassen! Etwas so Köstliches haben sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr schnabuliert – zuletzt in ihrem Elternhaus, serviert von ihrer armen Mutter. Und Schinken haben sie sowieso noch nie gekostet. So wunderbar lassen sie es sich schmecken, dass die zwei Mädchen kichern müssen und die Erwachsenen zuerst erstaunte und dann betroffene Gesichter machen und, da die fremden Kinder die Speisen im Nu wie hungrige Wölfe verschlungen haben, ihnen freigebig immer mehr auftischen, bis sie beim besten Willen nicht mehr können. Ein erstauntes Gesicht macht zunächst auch die Kellnerin. Doch bald danach bringt sie zwei große Gläser voll mit köstlichem, frischgepresstem Apfelsaft. Und immer wieder danken Resul und Fatima ihren Wohltätern in Form von Gesten.

Sobald sie dieses ungewohnte Festmahl beendet haben, spricht eine der Damen sie auf Englisch an und fragt, ob sie Englisch verstehen. Darauf kramt Resul seine kärglichen und längst verschüttet geglaubten Englischkenntnisse hervor und sagt: „A little.“

Und so erfahren ihre Wohltäter einiges über sie, so gut es Resul vermag – wohlgemerkt, bei weitem nicht alles, vor allem nichts über Onkel Sulejmans Verbleib und nichts über das schreckliche Kinderheim, dem sie soeben glücklich entronnen sind.

Danach spricht einer der Herren Resul an. Dieser versteht zwar nur „sleep“, schließt aber daraus, dass er gefragt wird, wo sie in der kommenden Nacht zu schlafen gedenken. Seine Antwort: Schulterzucken. Irgendwo im Wald, sagt er sich im Stillen, werden wir schon ein Plätzchen zum Schlafen finden, so wie früher mit Onkel Sulejman. Aber dann fällt ihm ein: Verdammt, im Unterschied zu damals können die Nächte jetzt im November schon bitterkalt werden.

Gedankenversunken, wie er ist, merkt er plötzlich, dass die Dame, die ihn als Erste angeredet hat, neuerlich zu ihm spricht, und er hat den Anfang überhört und versteht nur noch „come with us“. Da bringt er erst recht kein Wort hervor, jedenfalls kein englisches, und kann die Fragende nur ungläubig anstarren. Sie nickt heftig, quasi um ihn zu ermutigen, und er flüstert seiner Schwester zu: „Du, die wollen uns mitnehmen. Was sagst du jetzt?“

Und was sagt Fatima jetzt? Sie bricht in Tränen aus und ruft: „Komm, laufen wir geschwind davon, damit sie uns nicht einholen können!“

„Aber nein. Ich glaube, die wollen uns nicht zu den Nonnen zurückbringen, sondern zu sich nach Hause mitnehmen, und dort sollen wir übernachten.“

Augenblicklich versiegen die Tränen, Fatimas Augen werden groß, und ein wundersames Leuchten geht über ihr Gesicht, und Resul antwortet: „She says yes. And thank you.“ Und könnte er, so würde er seiner Dankbarkeit noch bedeutend wortreicheren Ausdruck verleihen.

Aber nun stürmen die zwei Mädchen freudestrahlend auf sie beide zu und zerren sie, lebhaft plappernd, von der Bank und führen sie zu etwas, was sie noch nie gesehen haben: einen Kinderspielplatz. Na, da ist die ganze Müdigkeit vergessen und wie weggeblasen. Nie hätten sie nach dem vielen Kummer gedacht, dass sie wieder einmal so vergnügt sein könnten.

Doch nur allzu bald erheben sich die Erwachsenen und wandern in Richtung Parkplatz. Die nette Dame, die sie eingeladen hat, wiederholt ihre Aufforderung. Zugleich ergreifen die zwei Mädchen ihre Hände und schleppen sie zu einem der geparkten Autos und verfrachten sie auf den Rücksitz. Die eine setzt sich zu ihnen, die andere winkt ihnen zum Abschied zu und steigt in ein anderes Auto. Die freundliche Dame setzt sich zu ihnen auf den Beifahrersitz, einer der Herren setzt sich ans Steuer, und los geht’s.

Sie fahren, soweit es Resul beurteilen kann, weiter nach Norden, und das heißt: ins Innere von Österreich. Das freut und beruhigt ihn und Fatima so sehr, dass beide fast auf der Stelle einschlafen. Sie erwachen erst, als es aussteigen heißt.

Sie sind in ihrem schönen neuen Zuhause angekommen. Mehr noch, sie haben eine liebevolle neue Familie gefunden.

Und: Sie sind in Sicherheit, können in Frieden und in Freiheit leben.

 


 

Dietwin Koschak

 

SOS UKRAINE SOS. ÜBER GEWALTFREIEN WIDERSTAND UND DAS UMARMEN DER FEINDINNEN UND FEINDE

Ein Schrei für Frieden: - kein Krieg (!) und

es blutete weidwund beim Aufgang einer Akaziensonne: -

Woher wohl das Licht jetzt scheint?

Weine aber nicht und

es tagte ... -

 

Es nachtete und

Lachen aber nicht ... -

Wohin wohl der Schatten später flackerte?

Es blutete betroffen beim Untergang einer Akaziensonne; -

ein Schrei für Frieden: - kein Krieg!

 

Ein Schrei für Frieden: - kein Krieg (!) und

es bricht entzwei reudig beim Aufgang eines Korallenmondes: -

Woher wohl das Recht plötzlich zu beschießen?

Es abstirbt der Arm und

es heißt ja Leben???

 

Es heißt ja Tod und

es heißt ja Mord ... -

Wohin wohl die Freiheit ewiglich zu Lieben???

Es bricht entzwei lautstark beim Untergang eines Korallenmondes und

ein Schrei für Frieden: - kein Krieg!!!

 

Ein Schrei für Frieden: - kein Krieg!!!

Ein Schrei für Frieden: - kein Krieg!!!

Ein Schrei für Frieden: - kein Krieg!!!

 


 

Richard Mösslinger

 

Wüvül

Wüvül Tränan sand vargoss'n,

wüvül Load is bis hiatz gschehgn,

wüvül Leit hat ma darschoss'n,

wüvül sand zarfetzt daglegn?

Wüvül Eltern habm die Kinder

in dem Kriag bis hiatz varlorn,

wüvül werdn durch d' Menschnschinder

hiatz als Halbwaiser geborn?

Wüvül müass'n fast varhungern,

wal die Hülf net durchikimmt,

wüvül siachst nur umalungern,

dei zan Nixtoan sand bestimmt?

Wüvül Jahr müass'n vafliaßn,

bis dass endlih Ruah eintritt,

wüvül müass'n 's denn noh büaßn,

wüvül nimmt der Tod noh mit?

Wüvül Bombm und Raketn

müass'n noh auf d' Erdn falln,

dass dei, dei fest hoffm, betn

für den Wahnsinn müass'n zahln?

Wüvül muaß denn noh zarstört wer(d)n,

Haus und Hof und Viech und Land,

wulln dei immer noh net aufhearn,

dei die Macht habm in der Hand?

Wüvül. ...? Kunnt ma weitafragn,

und kriagt doh koa Antwort drauf;

's is so, wia ba Regntagn -

irgndwann heart 's zan regnan auf!

        


 

Joachim Gunter Hammer

 

Nie wieder Krieg in Europa?

Irrlichternd vom Um

nachtungshimmel Bomben –

besucht Luzifer die Erde?

 

Schüsse, Explosionen …

Kinder stottern oder

hören zu sprechen auf

 

Kopfschuss – blutiges

Schlüsselloch

in was für eine Realität?

 

Mag ihr Morgen

ohne Hahnenschrei und

der Finsternis Aufgang sein?

 

Kriege, Erdbeben, Karzinome …

doch Hauptsache, GoTt

ist aus dem Schneider?

 

+++

 

Übernachten

in U-Bahnschächten, oben

sind die Häuser zerbombt.

 

Don’t eat the despots and rich,

lass ihr Fleisch nicht kreisen

in deinem Leib!

 

Unterm Mikroskop

die Beißwerkzeuge von Bürgern

der Großmacht Ameise

 

Ist der Menschen Aus

schon festgeschrieben im Sideletter

der Unsterblichen?

 

Fühlst dich heute

als Heuaufgusswesen

in Abwesens Gurkenglas

 

+++

 

Ist die Schönheit und Hässlichkeit

des Menschen echt un

übertrefflich?

 

Welch Flackern schaut

dein Drittes Aug am Tag –

zahllose Allerseelenlichter.

 

Wieder ist Krieg

da spielt eine Geigerin Bach

im Bombentrichter

 

Der Diktator ist tot.

Seine gebleichten Knochen

beruhigen uns sehr.

 

Legst dich schlafen

mit einem Foto

von der Nachtseite der Venus

 


 

Christine Teichmann

 

Stell dir vor, es ist Krieg

Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin

Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand sieht hin

Stell dir vor, der Krieg kommt zu dir

und du gehst weg

und lässt alles zurück

die Wohnung, für die du ein halbes Leben gespart hast

den Bücherschrank, den du ein ganzes Leben gefüllt hast

die Fotoalben mit mehreren Leben

das Puppenhaus, das du für deine Enkel aufhebst

und das ist alles ganz gleich

und tut gar nicht weh

zumindest heute nicht

Heute schmerzt der Abschied von deinem Mann, deinem Sohn, deinem Freund

der bleiben muss oder bleiben will

Stell dir vor, es ist Krieg, und jemand geht hin

Geht hin, um sich entgegen zu stellen

damit der Krieg nicht noch näher kommt

Und dein Glauben an den Frieden bröckelt ab

und darunter kommt ein golden glänzendes Heldenepos zum Vorschein

das alsbald blutverschmiert im Dreck landen wird

Denn Krieg ist nicht heroisch

auch wenn es Tapferkeit gibt

Krieg ist krank und tut weh

 

Der Krieg, zu dem niemand hingehen braucht, ist der

den wir vor Jahren hätten verhindern können

wenn wir unsere Geschäfte moralisch geführt hätten und nicht gewinnmaximiert

wenn wir den Menschen beigestanden wären

und nicht den Systemen

 

Stell dir vor, es ist Krieg

Stell dir vor, es ist Krieg

 


 

Wolfgang Mayer König

 

SINNLOS OHNMÄCHTIG

Mir geht es genau so. Sinnlose Ohnmacht, die verbleibt. Über solche Gewalt, solchen Massenmord, solche Verbrechen an der Menschheit und Menschlichkeit, über so unfassbare Leidzufügung an Unschuldigen und Verstärkung des Leids an Bedürftigen, Notleidenden und Kranken, die ohnehin schon auf der Verliererstraße des Lebens ausgesetzt waren. Das exemplarisch Böse, das ungehindert über Hand nimmt und gigantische Ausmaße annimmt. Die gesellschaftlich ermöglichte, ja geförderte Verbrechernatur, und ihr gegenüber die pompös inszenierte Absage an die Bedrängten, das Hinauszögern derer letzter Hoffnungen, das Aufbauen unüberwindlicher Hürden, das Abgrenzen und Selbstbewahren, über das Ausgelöscht -Werden der Anderen, die Austilgung ganzer Völker hinaus. Solche Schande des Im-Stich-Lassens, des scheinheiligen Mitgefühls, der Ängste, dass einem selbst nicht solches Schicksal widerfährt, ist nie und nimmer tilgbar. Dieses Blut lässt sich niemals mehr abwischen, diese Tränen nie mehr trocknen. Eine ekelerregende Anbiederung, das Hinterlassen einer üblen Schleimspur der Profiteure, der deplatzierte Kotau, und wo man hinschaut, extreme Geschmacklosigkeit, sind der hiesige Beitrag zu den sich schon seit vielen Jahren abzeichnenden Vorbereitungen unermesslichen Schreckens, die von Menschen gegen Menschen ausgedacht wurden, und von allem Anfang an gegen diese gerichtet waren. Die Welt hat aufgehört, sinnvoll zu existieren. Eine solche Kultur, eine solche Politik, ergibt keinen Sinn.





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